Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 21

Volksbegehren und Volksentscheid in Bayern – Geschichte und rechtliche Grundlagen
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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3 VerfGHE 50, 181/196.
4 Die Möglichkeit von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden wurde durch das vom Volk beschlossene Gesetz zur Einführung des kommu-
nalen Bürgerentscheids vom 27. Oktober 1995 (GVBl. S. 730) geschaffen (vgl. dazu auch den Abschnitt Volksbegehren und Volksentscheide
seit 1946 in diesem Artikel).
5 Art. 18 Abs. 3 BV.
6 Vgl. die Diskussion in der 5. Sitzung des Verfassungsausschusses der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung vom 25. Juli
1946, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Verfassungs-Ausschusses der Bayerischen Verfassunggebenden Landesver-
sammlung, Band I (1947), S. 106 f.
7 Landeswahlleiter des Freistaates Bayern. Wahl zum 17. Bayerischen Landtag am 15. September 2013, abrufbar unter
.
landtagswahl2013.bayern.de/taba5990.html (Stand: 10.01.2014).
deutende praktische Rolle. So steht nach Art. 5 Abs. 1 BV
die gesetzgebende Gewalt „ausschließlich demVolk und der
Volksvertretung“ zu, und das in Art. 7 Abs. 2 BV veranker-
te „Grundrecht auf Teilhabe an der Staatsgewalt“
3
be-
stimmt, dass der Staatsbürger seine Rechte „durch Teilnah-
me an Wahlen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden so-
wie Volksbegehren und Volksentscheiden“ ausübt.
Volksbegehren undVolksentscheid als Instrumente
der staatlichenWillensbildung unmittelbar durch
das Volk
Während Bürgerbegehren und Bürgerentscheid die Wil-
lensbildung auf der Ebene der Gemeinden und Landkreise
betreffen (s. Art. 18a der Gemeindeordnung für den Frei-
staat Bayern und Art. 12a der Landkreisordnung für den
Freistaat Bayern),
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sind mit Volksbegehren und Volksent-
scheid die Abschnitte angesprochen, die eine Abstimmung
auf Landesebene in der Regel durchläuft. Dabei ist ein er-
folgreiches Volksbegehren, das von einer hinreichenden
Zahl an Unterstützern getragen wird, Voraussetzung dafür,
dass es zu einem Volksentscheid kommt. Definiert werden
diese Begriffe in der Bayerischen Verfassung lediglich mit
Blick auf die aus dem Volk heraus initiierte Gesetzgebung:
Nach Art. 71 BV ist ein Volksbegehren eine vom Volk ein-
gebrachte Gesetzesvorlage, während der Beschluss des
Volkes darüber den Volksentscheid darstellt (Art. 72 Abs. 1
BV). Der Sache nach ist die Volksgesetzgebung aber nicht
der einzige Bereich, in dem Volksbegehren und Volksent-
scheid zum Tragen kommen können. Dementsprechend
verwenden die Bayerische Verfassung und vor allem das
Landeswahlgesetz die Begriffe Volksbegehren und Volks-
entscheid auch in anderen Zusammenhängen.
Einsatzgebiete für Volksbegehren und
Volksentscheid
Abberufung des Landtags
5
Gemäß Art. 18 Abs. 3 BV, der freilich bisher nicht zur An-
wendung gelangt ist, kann der Landtag auf Antrag von ei-
ner Million wahlberechtigter Staatsbürger durch Volksent-
scheid abberufen werden. Hürde für den Volksentscheid
über die Abberufung des Landtags ist also ein entsprechen-
des, von mindestens einer Million wahlberechtigter Staats-
bürger getragenes Volksbegehren. Die im Rahmen der
Volksgesetzgebung geltende Mindestunterstützung durch
ein Zehntel der Stimmberechtigten (Art. 74 Abs. 1 BV) hat
der Verfassungsgeber hier nicht übernommen, um eine Ab-
berufung des Landtags durch Volksentscheid zu erschwe-
ren.
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Aufgrund des Bevölkerungszuwachses seit 1946 – zur
Landtagswahl 2013 waren 9 442 013 Bürger wahlberech-
tigt
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– besteht allerdings mittlerweile kaum mehr ein prak-
tischer Unterschied. Das Nähere über die Durchführung
des Volksbegehrens und des Volksentscheids regeln Art. 83
bis 87 Landeswahlgesetz (LWG), im Wesentlichen durch
Verweis auf die für die Volksgesetzgebung geltenden Vor-
Propagandaplakat zur Volksabstimmung über den „Anschluss“ des Saarlandes 1935. Bei der Volksabstimmung am 13. Januar 1935
stimmten 90,73 Prozent derWähler für eineVereinigung mit Deutschland, 8,86 Prozent für den Status quo und nur 0,4 Prozent der
Wähler für eineVereinigung des Saargebietes mit Frankreich. Nach dem deutlichen Ergebnis flohen vier- bis achttausend Gegner des
Nationalsozialismus nach Frankreich oder in andere Länder. Für das nationalsozialistische Regime brachte die Abstimmung einen be-
trächtlichen Prestigegewinn und muss durch die fortschreitende Aufweichung des Versailler Vertrages als ein Schritt auf demWeg in
den ZweitenWeltkrieg betrachtet werden. Im Deutschen Reich wurde das Gebiet nicht wieder an Preußen und Bayern zurückgeglie-
dert, sondern unter dem Namen „Saarland“ der Reichsführung unmittelbar unterstellt.
Foto: ullstein bild – Becker & Bredel
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