Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 18

Bemerkenswert erscheint vor diesemHintergrund,
dass die Stärkung direktdemokratischer Beteiligungsrechte
im Parteienspektrum inzwischen weithin Unterstützung
findet.
80
Hatten sich Befürworter und Gegner in der Ver-
fassungskommission 1994 noch in etwa die Waage gehalten,
erfuhr der von der rot-grünen Koalition am 13. März 2002
in den Deutschen Bundestag eingebrachte Entwurf schon
deutlich größere Zustimmung.
81
Dieser orientierte sich an
dem auf Länderebene verbreiteten dreistufigen Verfahren
der Volksgesetzgebung (Volksinitiative, -begehren, -ent-
scheid), sah hinsichtlich der Anwendungsbedingungen aber
besonders beteiligungsfreundliche Regelungen vor.
82
Drei
weitere, hieran angelehnte Vorstöße zur Einführung der
Volksgesetzgebung auf Bundesebene gab es 2006 aus den
Reihen der Oppositionsfraktionen im Deutschen Bundes-
tag. Sowohl die FDP als auch Bündnis 90/Die Grünen und
PDS/Die Linke legten – ohne dass dies größere öffentliche
Resonanz erfuhr – jeweils eigene Gesetzesentwürfe vor, die
jedoch allesamt scheiterten. Die Große Koalition hingegen
hatte zwar im Koalitionsvertrag 2005
83
den Willen bekun-
det, die „Einführung von Elementen der direkten Demo-
kratie [zu] prüfen“, ohne dies aber in konkrete Schritte um-
zusetzen. Ausschlaggebend hierfür erscheint die weiterhin
ablehnende Haltung der Union, wobei diese in den folgen-
den Jahren keineswegs mehr geschlossen gegen die Einfüh-
rung direktdemokratischer Beteiligungsformen eintrat.
Diese „Gefechtslage“ wurde auch im Wahljahr 2013 deut-
lich. Mit Ausnahme von CDU und CSU forderten alle im
17. Deutschen Bundestag vertretenen Parteien in ihren
Wahlprogrammen – wenn auch mit unterschiedlicher Ge-
wichtung – die Einführung von Volksabstimmungen auf
Bundesebene. Während das „Regierungsprogramm
2013–2017“ der Unionsparteien keine Aussagen zur direk-
ten Demokratie macht, forderte die CSU in ihrem Wahl-
programm zur bayerischen Landtagswahl „bundesweite
Volksabstimmungen über wichtige europäische Fragen“.
84
Insgesamt lässt die aktuelle Debatte eine positivere
Grundstimmung gegenüber der direkten Demokratie in
Deutschland erkennen, ohne dass allerdings „substanzielle
Fortschritte“
85
bei der Einführung entsprechender Instru-
mente auf Bundesebene zu verzeichnen wären. Der politi-
sche Wille zur Mehrheitsbildung in dieser Frage scheint,
insbesondere bei den Volksparteien, weiterhin zu fehlen.
Die aktivsten Fürsprecher direktdemokratischer Beteili-
gung sind – neben zivilgesellschaftlichen Akteuren wie
Mehr Demokratie e.V. – vielmehr die kleineren Oppositi-
onsparteien. Die Debatte ist aber auch nicht frei von popu-
listischen Elementen, wenn etwa punktuell Plebiszite zu
politisch kontroversen Fragen (z. B. zur Abschaffung des
Euro) gefordert werden, ohne die verfassungspolitischen
Konsequenzen zu reflektieren.
Fazit
Der Unterschied zur antiken Versammlungsdemokratie ist
unübersehbar: Anders als der Stadtstaat Athen sind die De-
80 Vgl. Decker (wie Anm. 79), S. 193–195.
81 Bei der namentlichen Abstimmung im Deutschen Bundestag erhielt er eine Zustimmung von 63,38 Prozent der abgegebenen Stimmen; vgl.
Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/240 v. 7. 6. 2002: 24032–24034.
82 So waren die vorgesehenen Eintragungsfristen, Eingangshürden und Zustimmungsquoren beteiligungsfreundlicher geregelt als in den meis-
ten Länderverfassungen. Erhalten blieb jedoch das sogenannte „Finanztabu“; genauer Decker (wie Anm. 79), S. 194 f.
83 „Gemeinsam für Deutschland. Mit Mut und Menschlichkeit. Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD“. Berlin 2005, S. 127. Online
verfügbar: http//www.cducsu.de/upload/Koavertrag0509.pdf.
84 Im Dezember 2012 hatte der Freistaat Bayern auch bereits einen Entschließungsantrag zur „Einführung von Volksentscheiden zu grundle-
genden Fragen der politischen und finanziellen Entwicklung Europas“ in den Bundesrat eingebracht, der am 1. Februar 2013 jedoch abge-
lehnt wurde; vgl. BR Drucksache 764/12 v. 11. 12. 12 sowie das BR Plenarprotokoll 906.
85 Decker (wie Anm. 79), S. 165.
Idee und Perspektiven der direkten Demokratie
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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Tausende Arbeitslose
demonstrieren in London
am 31. 10. 1932. Einige
Männer stehen auf den
Begrenzungssäulen des
Trafalgar Square.
Foto: ullstein bild – Imagno
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