Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 15

Idee und Perspektiven der direkten Demokratie
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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64 Vgl. Linder (wie Anm. 59), S. 411.
65 Ebd., S. 420.
66 Siehe Anmerkung 56.
67 Vgl. Linder (wie Anm. 57), S. 573.
68 Linder (wie Anm. 59), S. 423.
69 Für Aufsehen sorgte insbesondere die Volksabstimmung zum „Minarettverbot“ vom 29. 11. 2009.
70 Seit dem Jahr 1979 liegt die Beteiligung bei Nationalratswahlen unter der 50-Prozent-Marke. Nach dem bisherigen Tiefststand im Jahr 1995
(42,2 Prozent) belief sich die Wahlbeteiligung bei der letzten Nationalratswahl von 2011 auf 48,5 Prozent; Daten des Schweizer Bundesamts
für Statistik, online verfügbar:
(Stand 20. 12. 2013).
71 Vgl. die Daten des Schweizer Bundesamtes für Statistik; online verfügbar:
/
blank/key/stimmbeteiligung.html (Stand 20. 12. 2013).
72 Wolfgang Merkel: Volksabstimmungen: Illusion und Realität, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 61 (44–45), S. 47–55, hier S. 51.
73 Vgl. Linder (wie Anm. 57), S. 580.
lichst breiter Konsens herbeigeführt werden, um eventuel-
len oppositionellen Gegeninitiativen vorzubauen.
63
Dass
dies in den meisten Fällen gelingt, belegt die Statistik fakul-
tativer Referenden: Von den rund 2 300 in den Jahren von
1874 bis 2006 verabschiedeten Parlamentsgesetzen traten
circa 92 Prozent in Kraft, ohne dass ein Referendum dage-
gen angestrengt wurde; zudem erhielt mehr als die Hälfte
der 184 zur Abstimmung gebrachten Vorlagen auch die Zu-
stimmung des Volksmehrs.
64
Der von den Volksrechten aus-
gehende Zwang zur Konsenssuche und Kompromissbil-
dung ist auch eine wesentliche Erklärung dafür, dass die in
der Schweiz seit 1959 vorherrschende große Koalition aus
Freisinn, Christdemokraten, Volkspartei und Sozialdemo-
kraten bis in die jüngste Zeit hinein stabil regieren konnte –
unbeschadet der Tatsache, dass auch Regierungsparteien die
plebiszitäre Arena zur „fallweisen Opposition“
65
gegen die
Kompromisslinie der Parlamentsmehrheit nutzen. Nicht
unerwähnt darf in diesem Zusammenhang aber bleiben,
dass die Konkordanzdemokratie in der Schweiz zuletzt – da
die rechtskonservative SVP vorübergehend aus der Regie-
rung ausschied und die „Zauberformel“
66
in Frage stellte
67
in eine Krise geraten ist. Die feststellbare Polarisierung der
politischen Auseinandersetzung wird auch auf die „zuneh-
mende Mobilisierung gesellschaftlicher Cleavages in Volks-
abstimmungen“
68
zurückgeführt, so dass die dem eidgenös-
sischen Modell gemeinhin bescheinigte Integrativwirkung
in Frage gestellt erscheint.
69
Darüber hinaus vermag ein Blick auf die Praxis der
direkten Demokratie in der Schweiz allzu optimistische Er-
wartungen hinsichtlich deren partizipatorischer Impulse zu
relativieren. Weder zeichnet sich die Schweiz durch eine
überdurchschnittliche Wahlbeteiligung
70
aus (was aufgrund
der fehlenden Aussicht auf Machtwechsel erklärlich er-
scheint), noch gelingt durchweg eine hohe Mobilisierung
bei Referenden und Volksinitiativen. Die durchschnittliche
Beteiligungsquote bei Abstimmungen auf Bundesebene lag
im Zeitraum 1971 bis 2012 bei lediglich 43,15 Prozent.
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Hier scheint die Regel zu gelten: „Je komplexer die Materie
und je häufiger die Abstimmungen, umso geringer ist die
Beteiligung.“
72
Problematisch erscheint aber weniger die
verhaltene Beteiligung an Volksabstimmungen als vielmehr
die feststellbare ungleiche Repräsentation der Bürgerinnen
und Bürger. Auch für die Schweiz gilt kurz gesagt der Be-
fund, dass ressourcenstarke Teile der Bevölkerung, also
Menschen mit höherem Bildungs-, Berufs- und Einkom-
mensstatus, stärker partizipieren als die sozial schwächeren
Schichten.
73
Auch wenn dies nicht zwangsläufig zu Diskri-
minierungseffekten führen muss, wirft es doch die Frage
nach den Repräsentationschancen starker und schwacher
Interessen auf. Gleichwohl ist festzuhalten: „Volksentschei-
Marie-Jean Marquis de Condorcet (1743-1794) Mathematiker,
Politiker, Philosoph und Enzyklopädist, auf einem zeitgenös-
sischen Gemälde
Foto: ullstein bild – Archiv Gerstenberg
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