Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 5

Idee und Perspektiven der direkten Demokratie
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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Der griechische Philosoph
Sokrates (ca. 469-399 v.
Chr.) im Gefängnis, kurz
vor der Vollstreckung sei-
nesTodesurteils
Foto: picture-alliance - Prisma
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5 Die „Gefallenenrede“ des Perikles (ca. 500–429 v. Chr.) wurde überliefert durch Thukydides; zit. nach Vorländer,
/
9158/demokratie-geschichte-eines-begriffes (Stand 20. 12. 2013).
6 Andreas Kost: Direkte Demokratie,
2
Wiesbaden 2013, S. 24.
7 Grundlegend vgl. Vorländer (wie Anm. 4) und Manfred G. Schmidt: Demokratietheorien. Eine Einführung, Bonn 2010.
8 Vorländer (wie Anm. 4), S. 12.
9 Ebd., S. 23.
Scheint damit auf den ersten Blick klar zu sein, was Demo-
kratie bedeutet, so existiert dennoch bis heute kein einheit-
licher Demokratiebegriff. Vielmehr lassen sich konträre Be-
griffsverständnisse ausmachen, die sich im Kern auf die
Reichweite der Volksherrschaft beziehen. Welche Auffas-
sungen dazu in der politischen Ideengeschichte wie auch in
der neueren Demokratietheorie entwickelt wurden, soll im
Folgenden dargelegt werden, um zu einem genaueren Ver-
ständnis des Begriffs der direkten Demokratie zu gelangen.
Als Referenzmodell wird außerdem die Schweiz betrachtet,
umEinblicke in deren Funktionsweise zu erhalten. Ein kur-
zer Blick auf den Stand der Debatte inWissenschaft und Po-
litik soll abschließend illustrieren, welche Perspektiven sich
für die direkte Demokratie in Deutschland gegenwärtig ab-
zeichnen.
Schlaglichter auf die Ideengeschichte und
neuere theoretische Konzepte direkter
Demokratie
„Bis zum heutigen Tage wurde keine einheitliche Theorie
der direkten Demokratie entwickelt, welche zu verbesser-
ten und exakteren Einsichten in die bestmögliche Gestal-
tung dieses Systems geführt hätte“,
6
so die Ausgangsbeob-
achtung eines Lehrbuchs zum Thema. Umso wichtiger er-
scheint es, den Begriff der direkten Demokratie zunächst
einmal ideengeschichtlich zu verorten, bevor ausgewählte
neuere theoretische Konzepte behandelt werden.
7
Klassi-
scherweise erfolgt dies imRückbezug auf das Ideal der athe-
nischen Versammlungsdemokratie. Des Weiteren kann eine
auch nur schlaglichtartige ideengeschichtliche Annäherung
an den Begriff der direkten Demokratie nur gelingen, indem
das Spannungsverhältnis zwischen Konzepten der unmit-
telbaren, direkten Demokratie und der mittelbaren, reprä-
sentativen Demokratie beleuchtet wird. Hans Vorländer hat
zu Recht betont, dass zwischen diesen beiden Grundauf-
fassungen „die Strukturprobleme moderner Demokratien
überhaupt, von Freiheit und Gleichheit, von Mehrheit und
Minderheit, von bürgerschaftlichem Engagement und poli-
tischer Apathie“
8
, begründet liegen. Welcher Stellenwert di-
rekter Bürgerbeteiligung zukommt, wird zuletzt aus Sicht
der realistischen gegenüber der normativen Demokratie-
theorie erörtert, wobei neuere, beteiligungszentrierte An-
sätze besondere Berücksichtigung finden sollen.
Athen und das Modell der Versammlungs-
demokratie
Ein ideengeschichtlicher Zugang zu Konzepten direkter
Demokratie führt uns zunächst zurück zu deren Anfängen
im antiken Griechenland. Auch wenn hier nicht genügend
Raum zur Verfügung steht, um die sogenannte Polisdemo-
kratie in ihrem historischen Kontext zu analysieren, ist sie
doch als Vorbild für Aristoteles’ Staatsformenlehre zu be-
trachten. Bereits die athenische Versammlungsdemokratie
praktizierte nämlich eine unmittelbare, gleichberechtigte
Beteiligung der – männlichen und statusberechtigten – Bür-
ger an der Beratung, Entscheidung und Ausführung der Po-
litik. „Regieren und Regiertwerden [waren dort] letztlich
eins“.
9
Aristoteles’ Herrschaftstypologie basiert auf zwei
Merkmalsdimensionen, der Anzahl der Herrschenden ei-
1,2,3,4 6,7,8,9,10,11,12,13,14,15,...64
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