Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 7

Idee und Perspektiven der direkten Demokratie
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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13 Bei Rousseau selbst blieb die Frage nach der institutionellen Ausgestaltung offen; vgl. ebd., S. 55 u. S. 111.
14 Ebd., S. 56.
15 Diese ist grundlegend zu unterscheiden von der
„volonté de tous“
als Summe der selbstbezüglichen Sonderinteressen. Letztere werden bei
Rousseau als
„volonté particulière“
bezeichnet; vgl. Schmidt (wie Anm. 7), S. 97.
16 Rousseau war daher auch ein dezidierter Kritiker des englischen Parlamentarismus; vgl. ebd., S. 84.
17 Vgl. ebd., S. 86–88.
18 Ebd., S. 97.
das Fundament des politischen Gemeinwesens ebenso er-
halten bleibt wie die persönliche Freiheit?
• Von grundsätzlichem Gewicht erscheint schließlich das
Problem der Souveränität im neuzeitlichen wie auch im
modernen Staat. Denn unabhängig von der Staatsform
muss die Souveränitätsausübung – sei der Träger nun ein
Monarch, gewählte Repräsentanten oder ganz unmittel-
bar das Volk – Schranken unterworfen werden, um Des-
potie zu verhindern. Wie kann dies gelingen?
Direkte versus repräsentative Demokratie
Erst von der Zeit der Aufklärung an sollte der Demokratie-
begriff eine positivere Deutung erfahren. Ende des 18. Jahr-
hunderts setzte er sich auch im allgemeinen Sprachgebrauch
durch. Maßgebliche Impulse dazu gab Jean-Jacques Rous-
seau mit seiner Schrift vom „Gesellschaftsvertrag“ (
„Du
contract social; ou principes du droit politique“
, 1762), auch
wenn er selbst den Begriff der Republik anstelle der Demo-
kratie bevorzugte. Bei Rousseau lebte das Modell der athe-
nischen Versammlungsdemokratie noch einmal auf, und die
Idee der Volkssouveränität – von der letztlich ganz unter-
schiedliche Verfassungsordnungen und Institutionensyste-
me getragen werden können
13
– trat ihren Siegeszug an.
Rousseau selbst vertrat allerdings eine radikale Lehre von
der Volkssouveränität, da alle politischen Rechte beim Volk
als Ganzem verbleiben sollten. Durch den Gesellschafts-
vertrag wird demnach ein
„état civil“
begründet, der die
Freiheit des Einzelnen dadurch gewährleistet, dass sich alle
Vertragspartner wechselseitig ihre gesamten Rechte über-
tragen: „Das Gesetz etabliert und sichert Freiheit, zugleich
verlangt es aber auch von den Bürgern, dass sie sich demGe-
setz unterwerfen“.
14
Das Volk unterwirft sich damit nicht
einem staatlichen Souverän, sondern das in der Legislative
versammelte Volk ist selbst Träger der Souveränität. Was im
Wege der Volksgesetzgebung beschlossen wird, ist gleich-
zusetzen mit der – niemals fehlgeleiteten, da stets am Ge-
meinwohl orientierten –
„volonté générale“
15
. Über diesen
Gemeinwillen verfügt nur das Volk als Ganzes, deshalb
kann er auch nicht von gewählten Repräsentanten vertreten
werden.
16
Regierende und Regierte sind nach diesem Ver-
ständnis identisch.
Die Kritik an Rousseaus Entwurf einer direkten
Demokratie richtete sich vor allem gegen den von ihm pos-
tulierten homogenen Gemeinwillen, der sich nicht mit indi-
viduellen Bedürfnissen oder partikularen Interessen ver-
trägt. Wie dieser erreicht werden kann, wird auch von Rous-
seau selbst nicht widerspruchsfrei geklärt.
17
Außer Zweifel
steht aber, dass sich der Einzelne dem Gemeinwillen zu un-
terwerfen hat, was Rousseau lediglich als einen Zwang zur
Freiheit begreift. Dem wohnt jedoch unübersehbar eine au-
toritäre, wenn nicht gar totalitäre Tendenz inne, da weder
eine institutionelle Gewaltenteilung noch rechtsstaatliche
Maximen der Volksherrschaft Grenzen setzen. Seiner Leh-
re fehle „jeglicher Schutz gegen die potenzielle Despotie der
Mehrheit“
18
, stellt Manfred G. Schmidt daher fest. Gerade
weil Rousseau vielfach als Fürsprecher der direkten Demo-
kratie zitiert wird, muss auch betont werden, dass er die
Teilhabe des Volkes auf die – idealerweise einstimmige – Ab-
stimmung über den Gesellschaftsvertrag sowie die allge-
meine Gesetzgebung beschränkt. Kontroverse Diskussio-
nen oder eine ausgiebige Deliberation über die zu verfol-
Kupferstich von Matthaeus Merian d. Ä. (1593–1650):Titus
Largius Flavus wird vom Senat zum ersten römischen Diktator
ernannt. Abb. aus: Johann Ludwig Gottfried: Historische Chro-
nica, Frankfurt am Main 1630, S. 102, Berlin, Slg. Archiv f.
Kunst und Geschichte.
Foto: picture-alliance – akg-images
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