Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 17

Idee und Perspektiven der direkten Demokratie
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
17
77 Vgl. Bärbel Martina Weixner: Direkte Demokratie in den Bundesländern, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (B 10/2006), S. 18–24; Raphael
Magin, Christina Eder und Adrian Vatter: Direkte Demokratie in den Bundesländern. Ein Vergleich der Institutionen und Anwendungs-
muster, in: Die Politik der Bundesländer. Staatstätigkeit im Vergleich, hg. von Achim Hildebrandt und Frieder Wolf, Wiesbaden 2008,
S. 345–362; sowie für Bayern Manuela Glaab: Direkte Demokratie in Bayern – Traditionslinien und aktuelle Tendenzen, in: Politik und Re-
gieren in Bayern, hg. von Manuela Glaab und Michael Weigl, Wiesbaden 2013, S. 241–256.
78 Vgl. Markus Freitag und Uwe Wagschal: Direkte Demokratie. Bestandsaufnahmen und Wirkungen im internationalen Vergleich, Berlin
2007.
79 Vgl. Frank Decker: Regieren im Parteienbundesstaat. Zur Architektur der deutschen Politik, Wiesbaden 2011.
scheiden sich die Möglichkeiten direktdemokratischer Be-
teiligung aufgrund unterschiedlicher Detailregelungen er-
heblich, was sich auch auf die landesspezifische Praxis der
direkten Demokratie auswirkt.
77
Die (politik-)wissenschaftliche Debatte fokussiert
zum einen auf die Frage, wie sich die direkte Demokratie auf
die Effizienz und Qualität politischer Entscheidungen aus-
wirkt. Empirische Analysen ergeben keineswegs ein ein-
heitliches Bild, doch lassen sich für einige Länder – vor al-
lem die Schweiz – positive Effekte belegen.
78
Zum anderen
wird diskutiert, ob und wie sich direktdemokratische Ele-
mente mit der bundesrepublikanischen Verfassungsord-
nung vereinbaren lassen. Ebenso wie in der Staatsrechtsleh-
re hat sich in der Politikwissenschaft inzwischen weitge-
hend die Auffassung durchgesetzt, dass Artikel 20 Abs. 2
GG die Einführung direktdemokratischer Elemente auf
Bundesebene erlaubt, jedoch nur im Wege einer Verfas-
sungsänderung, welche eine Zweidrittelmehrheit in Bun-
destag und Bundesrat erfordert. Zudem gilt es zu berück-
sichtigen, dass der in den Artikeln 1 und 20 GG in Verbin-
dung mit Artikel 79 Abs. 3 GG („Ewigkeitsklausel“)
enthaltene Verfassungskern nicht beschädigt werden darf.
Daraus ergeben sich normative Schranken, denen bei der
Einführung direktdemokratischer Verfahren (z. B. durch
Ausschlussgegenstände wie die Todesstrafe) Rechnung zu
tragen ist.
Kontroversen bestehen darüber hinaus um die
Konsequenzen für die „Architektur“ des politischen Sys-
tems der Bundesrepublik.
79
Drei zentrale Probleme seien
hervorgehoben: Zum einen betrifft dies die Rolle des Bun-
desverfassungsgerichts, das von allen Verfassungsorganen
das größte Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern ge-
nießt. Als „Hüter der Verfassung“ trifft es die Letztent-
scheidung über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen.
Selbst wenn man einem vom Volk beschlossenen Gesetz ei-
ne höhere Legitimität als Parlamentsgesetzen zubilligt,
müsste dieses einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle un-
terworfen bleiben. Ob sich das Verfassungsgericht dem von
Plebisziten ausgehenden politischen Druck entziehen
könnte oder aber das bisher vertretene Verständnis der Ver-
fassungssouveränität in seiner Substanz verändert würde,
sei hier zumindest als Fragezeichen markiert. Eine richter-
liche Vorabprüfung, zumal bei verfassungsändernden Ge-
setzen, könnte einen verfahrenstechnischen Ausweg bieten.
Zum anderen ist die Bundesstaatlichkeit als relevante ver-
fassungsrechtliche Barriere bei der Einführung direktde-
mokratischer Elemente zu nennen, nicht nur weil die Zu-
stimmung des Bundesrats für eine Grundgesetzänderung
notwendig wäre, sondern auch weil dessen Rolle in der Ge-
setzgebung ganz neu zu bestimmen wäre. Die sich hieraus
ergebenden komplexen Folgefragen betreffen die Kompe-
tenzverteilung zwischen Bund und Ländern und die Mit-
wirkung der Länder an der Bundesgesetzgebung durch den
Bundesrat. Ein drittes, hier nicht näher zu behandelndes
Problembündel betrifft die Auswirkungen auf die Parteien-
demokratie. Angemerkt sei lediglich, dass der ohnehin
schon ausgeprägte Zwang zur Konsenssuche – ähnlich wie
in der Schweiz zu beobachten – noch zunehmen dürfte,
wenn Plebiszite als oppositionelles Druckmittel eingesetzt
würden.
EinWahltag im bayerischen
Gebirge; historischer Stich,
ca. 1870
Foto: ullstein bild –
imagebroker.net / BAO
1...,7,8,9,10,11,12,13,14,15,16 18,19,20,21,22,23,24,25,26,27,...64
Powered by FlippingBook