Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 16

de werden akzeptiert und haben eine hohe Legitimation,
weil sie einen Glauben an die demokratische Selbstbestim-
mung vermitteln, wie ihn der parlamentarische Entscheid
nicht hervorbringt: vox populi locuta, causa finita.“
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Die Diskussion um die direkte Demokratie
in Deutschland
Mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949
wurde in der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland
nahezu die Reinform der parlamentarischen Repräsentativde-
mokratie errichtet. Es gehört zum Lehrbuchwissen, dass die
Väter und Mütter des Grundgesetzes sich dabei leiten ließen
von der Erfahrung des Scheiterns der Weimarer Republik.
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Auch wenn das in Artikel 73 der Reichsverfassung veranker-
te Instrument des Volksbegehrens und -entscheids keines-
wegs als dessen Hauptursache betrachtet werden kann, be-
deutete es doch eine weitere Schwächung des Parlaments und
war ein nicht zu unterschätzendes Element der polarisierten
Auseinandersetzungen zwischen den politischen Kräften. Er-
wähnt sei auch, dass die im Semi-Präsidentialismus angelegte
Legitimationskonkurrenz zwischen dem vom Volk gewähl-
ten Reichstag und dem gleichfalls direkt gewählten, zudem
mit umfassenden Kompetenzen ausgestatten Reichspräsiden-
ten in die gleiche Richtung wirkte. Das Diktum von Theodor
Heuss, wonach Volksinitiativen und –entscheide „eine Prämie
für jeden Demagogen“ darstellten, zielte genau auf diesen Zu-
sammenhang, befürchtete er doch eine davon ausgehende
„dauernde Erschütterung des mühsamen Ansehens, worum
sich die Gesetzgebungskörper, die vom Volk gewählt sind,
noch werden bemühen müssen“.
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Nach Art. 20 GG nimmt das deutsche Volk seine
Souveränität zwar durch Wahlen und Abstimmungen wahr,
doch sind Volksentscheide auf Bundesebene nur in einem
konkreten Fall vorgesehen, nämlich zur Länderneugliede-
rung nach Art. 29 GG. Nachdem die deutsche Einigung am
3. Oktober 1990 gemäß Artikel 23 GG durch den Beitritt
der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes erfolg-
te, gilt Art. 146 GG – wonach das Grundgesetz durch eine
neue, vom „deutschen Volke in freier Entscheidung be-
schlossen[e]“ Verfassung abgelöst werden kann – als wei-
testgehend obsolet. Dennoch erhielt die Debatte um die di-
rekte Demokratie in Deutschland auch und vor allem durch
den Einigungsprozess der Jahre 1989/90 neuen Auftrieb.
Einen wichtigen Impuls setzten die neuen Länderverfas-
sungen, die in Ostdeutschland direktdemokratische Instru-
mente flächendeckend einführten. Zwar fanden Vorschläge
zur Änderung des Grundgesetzes zugunsten der Einfüh-
rung bundesweiter Volksabstimmungen in der 1991 einge-
setzten Gemeinsamen Verfassungskommission von Bun-
destag und Bundesrat keine Mehrheit, doch wurden unter-
halb der Bundesebene die Weichen in Richtung mehr
direkter Bürgerbeteiligung gestellt. Volksinitiative, Volks-
begehren und Volksentscheid wurden in den 1990er-Jahren
– soweit nicht ohnehin bereits in den Landesverfassungen
enthalten – in den westdeutschen Ländern ebenfalls einge-
führt. Volksbegehren und Volksentscheid sind hier inzwi-
schen überall möglich. Auch kennen die meisten Länder, au-
ßer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und dem Saar-
land, darüber hinaus die Volksinitiative. In den 90er-Jahren
wurden direktdemokratische Elemente auch immer mehr
auf der kommunalen Ebene ausgebaut. Gleichwohl unter-
74 Linder (wie Anm. 59), S. 410.
75 Vgl. Wolfgang Rudzio: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland,
7
Wiesbaden 2011, S. 48 ff.
76 Siehe Anmerkung 1.
Idee und Perspektiven der direkten Demokratie
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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Grafische Darstellung der
ersten bayerischen Stände-
versammlung in München
1819, des ersten bayeri-
schen Landtages, der von
König Maximilian I. Joseph
eröffnet wurde
Foto: ullstein bild – SZ Photo /
Scherl
1...,6,7,8,9,10,11,12,13,14,15 17,18,19,20,21,22,23,24,25,26,...64
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