Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 19

Idee und Perspektiven der direkten Demokratie
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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86 Schmidt (wie Anm. 7), S. 352.
87 Decker (wie Anm. 79), S. 166.
mokratien der heutigen Zeit zumeist in großen, territoria-
len Flächenstaaten verfasst. Gerade deshalb kann die De-
batte um die direkte Demokratie die von der politischen
Ideengeschichte seit jeher erörterten, hier nur in Grundzü-
gen behandelten Fragestellungen nicht außer Acht lassen. In
konsolidierten Demokratien erscheint die Dichotomie zwi-
schen repräsentativer und direkter Demokratie zwar über-
windbar, die Repräsentation durch gewählte Volksvertreter
kann Hand in Hand gehen mit direktdemokratischen Be-
teiligungsformen. Unverzichtbar erscheint allerdings eine
„konstitutionelle Zügelung“,
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da es Grundprinzipien wie
etwa Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit zu wahren
gilt. Aber auch die neueren, partizipatorischen Ansätze der
Demokratietheorie verweisen auf gewichtige Herausforde-
rungen. Insbesondere gilt dies für die Notwendigkeit, Ple-
biszite durch eine faire, sachorientierte öffentliche Debatte
zu begleiten. Auch sollte nicht übersehen werden, dass eine
gleichberechtigte Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger
nicht automatisch zu erwarten ist.
Es sollte deutlich geworden sein, dass die Aufnah-
me plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz keines-
wegs nur eine punktuelle Reform darstellt. Vielmehr verän-
dern diese die Architektur der parlamentarischen Demo-
kratie – mit möglicherweise weitreichenden Konsequenzen.
Zu betonen ist allerdings, dass die Frage nach der „System-
verträglichkeit“
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nicht pauschal beantwortet werden kann.
Vielmehr wird diese von der konkreten Ausgestaltung und
Reichweite der direktdemokratischen Verfahren abhängen.
Zu Recht ist daher die Frage aufgeworfen worden, warum
sich die in Deutschland geführte Debatte auf das Modell der
Volksgesetzgebung zentriert. Die dazu eingebrachten
– auch im internationalen Vergleich ungewöhnlich ambitio-
nierten – Vorschläge verstellen womöglich den Blick auf
kleinere, eher durchsetzbare Reformschritte. Bedenkens-
wert erscheinen bspw. Varianten der Volksinitiative, welche
den Bürgerinnen und Bürger vermittels eines Initiativrechts
im Gesetzgebungsprozess eine relevante Agendasetting-
funktion zuschreiben würden, ohne die Legislativkompe-
tenz von Bundestag und Bundesrat in Frage zu stellen.
Ein Mitglied des engli-
schen Parlaments
empfängt um 1935 eine
Petition gegen zu hohe
Lebenskosten.
Foto: ullstein bild – Imagno
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