Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 28

Blick auf Art. 74 Abs. 1 BV, der für ein erfolgreiches Volks-
begehren die Sammlung der Unterschriften eines Zehntels
der stimmberechtigten Staatsbürger verlangt. Nach der
Bayerischen Verfassung kann daher das Volk nicht in grö-
ßeremUmfang an die Stelle der Repräsentativorgane treten,
sodass die Volksgesetzgebung nur ergänzend wirken, nicht
aber die kontinuierliche Arbeit des Parlaments ersetzen
kann.
Soweit allerdings Volksgesetzgebung praktiziert
wird, bedeutet die rechtliche Gleichrangigkeit der beiden
Gesetzgebungsarten, dass das Volk an die Stelle des Parla-
ments tritt. Das heißt auch, dass es denselben – durch die
Kompetenzordnung des Grundgesetzes und die Bestim-
mungen der Bayerischen Verfassung vorgegebenen – Be-
schränkungen unterliegt wie der Landtag. Ferner folgt dar-
aus, dass vom Volk beschlossene Gesetze durch Parla-
mentsgesetze aufgehoben oder geändert werden können,
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wie umgekehrt die Volksgesetzgebung auch auf die Ände-
rung oder die Aufhebung eines geltenden Parlamentsge-set-
zes gerichtet sein kann.
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Dies ist zu unterscheiden von der
– nach der Verfassung nicht zulässigen – Referendumsin-
itiative, die zumZiel hat, bereits das Inkrafttreten eines vom
Landtag beschlossenen Gesetzes zu verhindern.
Beschränkungen, denen Volks- und Parlamentsgesetz-
gebung unterliegen
Selbstverständlich ist zunächst, dass das Volksbegehren auf
die Schaffung eines Gesetzes gerichtet sein muss, das aller-
dings (wie ausgeführt) auch die Aufhebung eines anderen
Gesetzes zum Inhalt haben kann. Dem entsprechend be-
stimmt Art. 74 Abs. 2 BV, dass demVolksbegehren „ein aus-
gearbeiteter und mit Gründen versehener Gesetzentwurf
zugrunde liegen“ muss. Politische Forderungen oder Pro-
klamationen
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können damit ebenso wenig Gegenstand ei-
nes Volksbegehrens sein wie Entscheidungen der Exekutive
(Verwaltung).
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Das Volksbegehren darf auch nicht darauf
abzielen, den Landtag mit bestimmten Gegenständen der
politischen Willensbildung zu befassen.
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Da das Volk als
Landes
gesetzgeber tätig wird, kann
es auch nur solche Gesetze erlassen, die in die Zuständigkeit
des Landesgesetzgebers fallen. Soweit die Kompetenzord-
nung des Grundgesetzes (Art. 70 bis 74 GG) die Gesetzge-
bungsbefugnis hingegen dem Bund zuweist, kann sie weder
vom Landtag noch vom (bayerischen) Volk wahrgenom-
men werden. Die Frage, ob ein Volksbegehren mit den
Kompetenznormen des Grundgesetzes vereinbar ist, wird
vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof geprüft, sofern er
gemäß Art. 67 BV in Verbindung mit Art. 64 Abs. 1 Satz 1
LWG oder Art. 73 Abs. 5 LWG über die Zulassung eines
Volksbegehrens zu entscheiden hat.
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In gleicher Weise prüft der Bayerische Verfas-
sungsgerichtshof in diesem Verfahren, ob das auf eine Än-
derung des einfachen Rechts gerichtete Volksbegehren den
von der Bayerischen Verfassung vorgegebenen Rahmen ein-
hält.
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Der Finanzvorbehalt des Art. 73 BV als besondere
Grenze der Volksgesetzgebung
Betrafen die bisher dargelegten Beschränkungen Parla-
ments- und Volksgesetzgebung gleichermaßen, stellt das so-
genannte „Finanztabu“ des Art. 73 BV – „Über den Staats-
haushalt findet kein Volksentscheid statt.“ – eine gewichti-
42 VerfGHE 53, 42/61; Wilhelm Hoegner, Lehrbuch des Bayerischen Verfassungsrechts, München 1949, S. 63.
43 VerfGHE 47, 1/16; 53, 42/61.
44 VerfGHE 29, 244/253; 31, 77/93.
45 VerfGHE 29, 244/254; 31, 77/91.
46 VerfGHE 40, 94/103.
47 VerfGHE 53, 42/72 f.
48 VerfGHE 38, 51/57 ff.; 40, 94/101 ff.; 43, 35/56; 62, 1/11.
49 VerfGHE 53, 42/60; 58, 113/124; 61, 78/84; VerfGH BayVBl. 2013, 170.
Volksbegehren und Volksentscheid in Bayern – Geschichte und rechtliche Grundlagen
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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Unterschriftensammlung gegen die Erhöhung der Kosten für
Kindertagesstätten 1972; Demonstration der Eltern gegen
erhöhte Gebühren und für verbesserte Ausstattung und Mit-
bestimmung in den Kindergärten sowie Unterstützung von
Elterninitiativgruppen
Foto: ullstein bild – Erhard Rogge
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