Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 30

vertretenen Bürgern Sondervorteile verschaffen wollten;
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andererseits gefährde eine unbeschränkte Zulässigkeit fi-
nanzwirksamer Volksbegehren die Budgetverantwortung
des Landtags und die auch durch sie zu sichernde Funkti-
onsfähigkeit der demokratisch legitimierten Repräsentativ-
organe.
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Dementsprechend hat der Bayerische Verfas-
sungsgerichtshof Sinn und Zweck des Art. 73 BV auch dar-
in gesehen, ausgabenwirksame Gesetze weitgehend dem
parlamentarischen Gesetzgeber zuzuweisen, da allein dieser
alle Einnahmen und notwendigen Ausgaben insgesamt im
Blick habe, diese unter Beachtung der haushaltsrechtlichen
Vorgaben der Verfassung und des Vorbehalts des Möglichen
sowie eines von ihm demokratisch zu verantwortenden Ge-
samtkonzepts in eine sachgerechte Relation zueinander set-
zen könne und für den Ausgleich von Einnahmen und Aus-
gaben sorgen müsse, etwa durch höhere Kreditaufnahmen
oder durch Steuererhöhungen.
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Diese Funktion könne das
Parlament nicht erfüllen, wenn Volksbegehren auch Geset-
ze zum Inhalt haben könnten, die das Budgetrecht des Par-
laments erheblich beeinträchtigten, da das Parlament dann
durch verschiedene, möglicherweise sogar gegenläufige
Volksentscheide zu wiederholten Umschichtungen der Pla-
nung und Prioritätensetzung gezwungen würde und nicht
mehr in vollem Umfang in der Lage wäre, entsprechend
dem Wählerauftrag politische Gestaltung finanziell umzu-
setzen und zu verantworten.
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Nach der vor diesem Hintergrund vom Bayeri-
schen Verfassungsgerichtshof entwickelten Formel sind
„Volksbegehrenmit Art. 73 BV unvereinbar, die auf denGe-
samtbestand des Haushalts Einfluss nehmen würden, dem-
nach das Gleichgewicht des gesamten Haushalts stören und
damit zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Budget-
rechts des Parlaments führen könnten“.
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Zur Klärung der Frage, ob ein finanzwirksamer
Volksgesetzentwurf im Erfolgsfall zu einer wesentlichen
Beeinträchtigung des Budgetrechts des Landtags führen
würde, bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung im
Einzelfall.
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Ein Kriterium ist dabei das Verhältnis der bei
einemErfolg des Volksbegehrens entstehendenMehrkosten
zumGesamthaushalt. ImFall des Volksbegehrens zur Lern-
mittelfreiheit hätten die jährlichen Mehrkosten bei einem
damaligen Haushaltsvolumen von 25,7 Milliarden DM et-
wa 15,8 Mio. DM, also etwa 0,06 % des Gesamthaushalts,
ausgemacht.
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Hierin hat der Bayerische Verfassungsge-
richtshof keine wesentliche Beeinflussung des Staatshaus-
halts gesehen. Er hat allerdings auch betont, dass das Ver-
hältnis der Mehrkosten zum Gesamthaushalt nicht das ein-
zige Kriterium sei. Daneben komme es gegebenenfalls auf
die Gesamtkosten an, die ein dem Volksbegehren entspre-
chendes Gesetz über den Haushaltszeitraum hinweg verur-
sachen würde, sowie auf die Art und Dauer der Belastun-
gen. Er hat deshalb 1994 ein Volksbegehren nicht zugelas-
sen, das eine Beschränkung der Klassenstärke auf 30 Schüler
zum Ziel hatte, obwohl die Mehrkosten (zunächst) auch et-
wa 0,06 % bis 0,071 % des Haushalts ausgemacht hätten.
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Die wesentliche Beeinträchtigung des Budgetrechts wurde
damit begründet, dass nicht nur auf das erste Jahr abzustel-
len sei, in demmit den erforderlichen Neueinstellungen von
Lehrern begonnen werde. Bei einer Verteilung der Neuein-
stellungen auf zehn Jahre ergäben sich nach Ablauf dieses
56 VerfGHE 29, 244/267 f.; 47, 276/305 f.; 53, 42/68.
57 VerfGHE 47, 276/304 ff.; 53, 42/63 f.; 61, 78/89 f.
58 VerfGHE 47, 276/306.
59 VerfGHE 53, 42/67 f.
60 VerfGHE 29, 244/269; 53, 42/67; 61, 78/85; VerfGH BayVBl. 2013, 170/172.
61 VerfGHE 47, 276/Leitsatz 4 und S. 308.
62 VerfGHE 29, 244/269.
63 VerfGHE 47, 276.
Volksbegehren und Volksentscheid in Bayern – Geschichte und rechtliche Grundlagen
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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Wähler undWahlhelferin bei der bayerischen Landtagswahl
vom 21. September 2003
Foto: ullstein bild – ddp
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