Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 29

Volksbegehren und Volksentscheid in Bayern – Geschichte und rechtliche Grundlagen
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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50 VerfGHE 29, 244/LS 8 und S. 267; ausdrückliche Bestätigung dieser Formel, die in VerfGHE 47, 276/303 nur referiert wird, in VerfGHE
61, 78/85 und VerfGH BayVBl. 2013, 170/172.
51 VerfGHE 29, 244/267; 61, 78/89.
52 VerfGHE 61, 78/90.
53 VerfGHE 29, 244.
54 S. Nr. 6 der Liste „Volksbegehren in Bayern seit 1946“ des Bayerischen Landesamts für Statistik und Datenverarbeitung; abrufbar unter
(Stand: 03.12.2013).
55 VerfGHE 29, 244/265.
ge Limitierung gerade der Volksgesetzgebung dar; insoweit
gilt das grundsätzlich gleichberechtigte Nebeneinander der
Gesetzgebungsarten nicht. Die Tragweite dieser Bestim-
mung erschließt sich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass
der Bayerische Verfassungsgerichtshof in ständiger Recht-
sprechung unter „Staatshaushalt“ im Sinn des Art. 73 BV
nicht nur (formell) den Haushaltsplan und seine Feststel-
lung durch das Haushaltsgesetz (Art. 78 Abs. 3 BV) ver-
steht, sondern (materiell) die „Gesamtheit der Einnahmen
und Ausgaben des Staates“.
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Damit sind neben dem Haus-
haltsplan und dem Haushaltsgesetz, die wegen ihrer Kom-
plexität ohnehin dafür ungeeignet wären,
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zwei weitere
Gruppen von Gesetzen der Volksgesetzgebung entzogen.
Hier geht es zum einen um Gesetze, die, ohne for-
mal einen Eingriff in das Haushaltsgesetz zum Gegenstand
zu haben, einzelne Ansätze im Staatshaushalt betreffen. Un-
zulässig war deshalb das Volksbegehren „Für Bayern –Nein
zum Transrapid!“, das darauf abzielte, dem Freistaat Bay-
ern die imNachtragshaushalt 2008 bewilligte finanzielle Be-
teiligung am Bau der Magnetschwebebahn zu untersagen.
Darin hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof einen Akt
der Haushaltsgesetzgebung gesehen, der „ausnahmslos un-
zulässig [ist], ohne dass es auf den Umfang der finanziellen
Auswirkungen ankommt. Für die Beurteilung ist auch nicht
maßgeblich, ob das Gesetzesvorhaben Einsparungen oder
Mehrausgaben zum Gegenstand hat […] und ob günstigere
Alternativen in Betracht kommen. Denn Art. 73 BV schließt
Volksentscheide und Volksbegehren zur Haushaltsgesetz-
gebung generell aus, da die Budgethoheit des Parlaments
unabhängig von den konkreten finanziellen Konsequenzen
in jedem Fall beeinträchtigt wird. Insoweit ist der Vorrang
des parlamentarischen Budgetrechts im Verhältnis zur
Volksgesetzgebung in der Verfassung selbst angelegt.“
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Zum anderen sind, was praktisch bedeutsamer ist,
auch solche Gesetze nach der Rechtsprechung des Bayeri-
schen Verfassungsgerichtshofs gemäß Art. 73 BV von der
Volksgesetzgebung ausgeschlossen, die zwar keine Haus-
haltsansätze
zum Gegenstand
haben, deren Vollzug sich
aber in erheblicher Weise auf den Staatshaushalt
auswirkt
.
Das erste Beispiel hierfür war ein Volksbegehren zur Fest-
schreibung der schulischen Lernmittelfreiheit in der Baye-
rischen Verfassung, das der Bayerische Verfassungsge-
richtshof insoweit in seiner Entscheidung vom 15. Dezem-
ber 1976
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zwar zugelassen hat, das aber in der Folge von
lediglich 6,4 % der Stimmberechtigten unterstützt wurde,
sodass es nicht zum Volksentscheid kam.
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In Anbetracht
des in der Bayerischen Verfassung angelegten Spannungs-
verhältnisses zwischen parlamentarischer Gesetzgebung
und Volksgesetzgebung, von denen keine den Primat bean-
spruchen könne, sah der Bayerische Verfassungsgerichtshof
die Notwendigkeit, Art. 73 BV so auszulegen, dass er „mit
den elementaren Grundsätzen der Bayerischen Verfassung
über die Beteiligung des Volkes an der Gesetzgebung ver-
einbar ist“.
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Den Ausschluss eines jeglichen finanzwirksa-
men Gesetzes von der Volksgesetzgebung hat er deshalb ab-
gelehnt. Andererseits hat er Art. 73 BV nicht dahingehend
ausgelegt, dass finanzwirksame Volksbegehren schlechthin
zulässig wären. Zur Begründung hat er einerseits auf die Ge-
fahr eines Missbrauchs der Volksgesetzgebung verwiesen,
die darin bestehe, dass Interessengruppen den von ihnen
Glocke zum 25-jährigen Jubiläum des Senats. Das im selben Jahr abgehalteneVolksbegehren
„Schlanker Staat ohne Senat“ zielte auf die Abschaffung des Senats ab. An demVolksentscheid
vom 8. Februar 1998 beteiligten sich 39,9 % der Stimmberechtigten. Von den gültigen Stimmen
votierten 2 412 944 (69,2 %) für die Abschaffung des Senats. Im September 1999 erklärte der Baye-
rischeVerfassungsgerichtshof die Regelungen des Volksentscheids für verfassungskonform. Damit
hörte der Senat zum 1. Januar 2000 auf zu bestehen.
Foto: SZ-Photo – Andreas Heddergott
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