Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 31

Volksbegehren und Volksentscheid in Bayern – Geschichte und rechtliche Grundlagen
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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64 VerfGHE 47, 276/309.
65 VerfGHE 47, 276/309 f.
66 VerfGH BayVBl. 2013, 170.
67 VerfGHE 53, 23/29 f.
68 VerfGHE 53, 23/29 ff.
69 VerfGHE 53, 42/62.
70 Zur vom Verfassungsgerichtshof entwickelten Ausnahme bei verfassungsändernden Volksentscheiden vgl. auch den Abschnitt „Das Zu-
stimmungsquorum bei Volksentscheiden über vollplebiszitäre Verfassungsänderungen“ in diesem Artikel.
Zeitraums schließlich jährliche Mehrkosten, die zehnmal so
hoch seien wie der im ersten Jahr anfallende zusätzliche
Aufwand für den Staatshaushalt.
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Zudem seien die dem
Staatshaushalt durch die Schaffung von Beamtenplanstellen
entstehenden Kosten unabänderlich, während die Kosten
der Lernmittelfreiheit bei schlechter Haushaltslage gekürzt
oder gestrichen sowie einem Sinken der Schülerzahlen an-
gepasst werden könnten.
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Voraussetzung für die Anwendung des Art. 73 BV
ist allerdings stets, dass der dem Volksbegehren zugrunde
liegende Gesetzentwurf den
Staats
haushalt betrifft. Das
Volksbegehren zur Abschaffung der Studienbeiträge hat der
Verfassungsgerichtshof deshalb als zulässig angesehen, weil
es (im Unterschied zum Staatshaushalt) die Körperschafts-
haushalte der Hochschulen betraf und der Staat aus Rechts-
gründen nicht verpflichtet war, die bei den Hochschulen
wegfallenden Einnahmen zu kompensieren.
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Insgesamt schränkt Art. 73 BV die Zulässigkeit der
Volksgesetzgebung in Bayern erheblich ein.
Das Koppelungsverbot
Aus dem Grundrecht auf Teilhabe an der Staatsgewalt
(Art. 7 Abs. 2 BV) und Art. 2 Abs. 1 Satz 2 BV – „Träger der
Staatsgewalt ist das Volk.“ – folgt, dass der Bürger bei den
Einzelakten der Volksgesetzgebung und in allen anderen
Fällen, in denen ihm nach der Verfassung die Ausübung der
Staatsgewalt zukommt, die Möglichkeit haben muss, seinen
eigenen, autonomen und souveränen Willen unverfälscht
und unverkürzt zum Ausdruck zu bringen.
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Deshalb ist es
nicht zulässig, sachlich nicht zusammenhängende Materien
in einem Volksbegehren zu verbinden und dem Bürger so
nur noch die Wahl zu lassen, die Regelungen „im Paket“ zu
befürworten oder abzulehnen.
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Das Einleitungsquorum des Art. 74 Abs. 1 BV
Wie bereits mehrfach erwähnt, setzt die Rechtsgültigkeit ei-
nes Volksbegehrens ferner voraus, „dass ein Zehntel der
stimmberechtigten Staatsbürger das Begehren nach Schaf-
fung eines Gesetzes stellt“ (Art. 74 Abs. 1 BV). Ohne diese
Unterstützung findet kein Volksentscheid über das Geset-
zesbegehren statt. Dieses Erfordernis dient dazu, „der
Volksgesetzgebung die erforderliche Dignität und Wirk-
samkeit zu verleihen, eine angemessene Kräfteverteilung zu
erreichen und die notwendige demokratische Legitimation
zu gewährleisten“.
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Bemerkenswert ist, dass die Verfassung
demgegenüber für die Gültigkeit eines Volksentscheids
auch im Rahmen der Volksgesetzgebung kein Beteiligungs-
oder Zustimmungsquorum verlangt.
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Das Volk als verfassungsändernder
Gesetzgeber
Die Zulässigkeit vollplebiszitärer Verfassungs-
änderungen
Die obige Aufstellung zeigt, dass manche Volksbegehren
nicht Volksgesetzgebung im von der Verfassung vorgegebe-
nen Rahmen, sondern die Verschiebung dieses Rahmens
selbst zum Ziel hatten. Die Zulässigkeit solcher Volksbe-
Der bayerische Gesundheitsminister Eberhard Sinner (CSU)
am 18. 8. 2003 vor Beginn einer Pressekonferenz zumThema
„Bürgergutachten für Gesundheit“ in München. Bayerns Bür-
ger sollten nach Angaben von Sinner eigene Ideen für das
deutsche Gesundheitswesen entwickeln. Unter der Obhut von
Fachleuten sollten sich 16 regionale Arbeitsgruppen in neun
bayerischen Orten Gedanken zur Reform der Gesundheitspoli-
tik machen.
Foto: picture-alliance – dpa
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