Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 40

8 Siehe etwa Frank Decker: Die Systemverträglichkeit der Direkten Demokratie. Dargestellt an der Diskussion um die Einführung von ple-
biszitären Elementen in das Grundgesetz, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 15 (2005), H. 4, S. 1103-1148, hier: S. 1114 f.
tiven und Volksbegehren liegt die Initiative auf Seiten der
Bürger. Die Volksinitiative zielt darauf ab, ein Anliegen vor
das Parlament zu bringen; es handelt sich also im Kern um
eine Art Petitionsrecht, das es Bürgern ermöglicht, Vor-
schläge in den parlamentarischen Beratungsprozess einzu-
bringen. Sie kann mit Volksbegehren verknüpft werden; ge-
schieht dies nicht, lässt die Volksinitiative die Bürger ohne
Entscheidungsmacht.
Volksbegehren sind im Vergleich dazu stärker als
Verfahren zur Durchsetzung von Standpunkten und Vor-
schlägen aus der Bürgerschaft ausgestaltet. Findet ein Ge-
setzesentwurf in einem Volksbegehren hinreichend große
Unterstützung, wird er in der Regel im Parlament behan-
delt (Tab. 1). Wird ihm von den Parlamentariern Gesetzes-
kraft verliehen, ist dem Anliegen aus den Reihen der Bürger
Genüge getan und das Verfahren beendet. Erreicht der Ent-
wurf im Parlament nicht die nötige Mehrheit, ist der Weg
frei für einen Volksentscheid über den Gesetzesentwurf
(und ggf. Gegenentwürfe). In dieser Abstimmung kann so-
mit ein Gesetzesentwurf aus den Reihen der Bürger gegen
den erklärten Willen der Parlamentsmehrheit Gesetzeskraft
erlangen.
Wie dem unteren Teil von Abb. 1 zu entnehmen ist,
müssen Volksentscheide nicht zwingend am Ende eines von
Bürgern initiierten Prozesses stehen. Vielmehr können sie
auch ohne vorherige Beteiligung des Volkes durchgeführt
werden. EineMöglichkeit besteht darin, dass das Parlament,
häufig dessen Mehrheit, oder die Regierung zu einem Ge-
setzesentwurf einen Volksentscheid ausruft. Ein Beispiel
hierfür ist die Volksabstimmung über das „S 21-Kündi-
gungsgesetz“, das eine Gesetzesvorlage der Landesregie-
rung von Baden-Württemberg zum Gegenstand hatte, die
im Landtag keine Mehrheit erhalten hatte. Die Initiative
liegt also nicht bei den Bürgern, sondern bei Akteuren der
repräsentativen Demokratie.
In einem dritten Fall ist es nicht ins Belieben von
Bürgern, Parlamentariern oder Regierenden gestellt, ob ein
Volksentscheid durchgeführt wird. Vielmehr findet er obli-
gatorisch dann statt, wenn bestimmte Schritte imGesetzge-
bungsprozess vollzogen sind. Beispielsweise können ver-
fassungsändernde Gesetze, die im Landesparlament eine
verfassungsändernde Mehrheit erreicht haben, vor Inkraft-
treten noch den Bürgern zur Billigung vorgelegt werden.
Der Volksentscheid bildet demnach eine abschließende Er-
gänzung zum parlamentarischen Gesetzgebungsprozess
und erlaubt es Bürgern, eine von ihren Repräsentanten be-
schlossene Vorlage abzulehnen, nicht jedoch, einem eigenen
Vorschlag Gesetzeskraft zu verleihen.
8
Diese skizzenhafte Übersicht veranschaulicht, dass
direktdemokratische Verfahren je nach Ausgestaltung im
politischen Prozess unterschiedliche Funktionen überneh-
men können. Sie können Bürgern Instrumente in die Hand
geben, eigene Anliegen, die im repräsentativdemokrati-
schen Prozess nicht genügend Gehör fanden, in die Gesetz-
gebung einzuspeisen oder sogar gegen den (mehrheitlichen)
Willen der Repräsentanten durchzusetzen. Diese Verfahren
legen eine Gestaltungsmacht in die Hände der Bürgerinnen
und Bürger. Wie die zuletzt angeführten obligatorischen
Verfassungsreferenden illustrieren, können direktdemokra-
tische Verfahren Bürger aber auch mit einer reinen Veto-
macht ausstatten.
DirektdemokratischeVerfahren in den
Bundesländern
Alle Länder der Bundesrepublik sehen direktdemokrati-
sche Verfahren vor, unterscheiden sich jedoch in deren Aus-
gestaltung zum Teil erheblich. Sie billigen alle den Bürge-
rinnen und Bürgern das Recht zu, Volksbegehren einzulei-
ten, die im Erfolgsfalle zu einem Volksentscheid führen und
Direktdemokratische Verfahren auf Landes- und Bundesebene
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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Quelle: eigene Darstellung
Volksinitiative
Parlamentarische
Abstimmung
Volksbegehren
von Verfassung gefordert
legislativ, exekutiv beantragt
Parlamentarische
Abstimmung
Volksentscheid
Erfolgreich
Gescheitert
Abb. 1: Mögliche Abläufe direktdemokratischer Gesetzgebungsprozesse
1...,30,31,32,33,34,35,36,37,38,39 41,42,43,44,45,46,47,48,49,50,...64
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