Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 49

Direktdemokratische Verfahren auf Landes- und Bundesebene
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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muliert: Direktdemokratische Verfahren vergrößern die
Einflussmöglichkeiten von Bürgern, aber nicht unbedingt
für alle Bürger im gleichen Maße.
Daneben darf man wichtige Unterschiede zwi-
schen Bundes- und Landespolitik nicht übersehen. Zum ei-
nen werden auf der Bundesebene andere politische Mate-
rien geregelt als auf Landesebene, etwa außenpolitische Fra-
gen. Es wäre daher zu entscheiden, welche Materien
Gegenstand direktdemokratischer Verfahren werden kön-
nen und welche davon ausgenommen werden sollen. Zum
anderen ist zu bedenken, dass die Länder über den Bundes-
rat an der Bundesgesetzgebung beteiligt sind. Nach einer
Auffassung könne die im Grundgesetz geforderte Mitwir-
kung der Bundesländer an der Gesetzgebung durch die Bür-
gerinnen und Bürger der Länder erfolgen. Im Falle eines
bundesweiten Volksentscheids sei daher – nach Schweizer
Vorbild – ein Zustimmungsquorum anzuwenden, das nicht
nur eine bundesweite Mehrheit, sondern auch Stimmen-
mehrheiten in der Mehrzahl der Bundesländer fordert.
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Folgt man dieser Argumentation, sind keine direktdemo-
kratischen Verfahren auf Bundesebene prinzipiell auszu-
schließen. Für andere Beobachter können Landesvölker
nicht ohne Weiteres die Rolle von Ländern in der Gesetz-
gebung übernehmen. Nur die Länder könnten im Bundes-
rat die Befugnisse wahrnehmen, Einspruch gegen Bundes-
gesetze zu erheben und den Vermittlungsausschuss anzuru-
fen. Darüber hinaus lege der Vollzug von Bundesgesetzen
durch die Länder nahe, dass die Interessen der Länder nicht
durch die Stimmen der Landesvölker gewahrt werden
könnten. Daher kämen auf Bundesebene nur solche bin-
denden direktdemokratischen Verfahren in Frage, in denen
nach Abschluss des parlamentarischen Prozesses über Ge-
setze abgestimmt wird. Mit anderen Worten, auf Bundes-
ebene seien Referenden mit Vetorecht zulässig, Initiativen
mit Gesetzesentwürfen aus der Bürgerschaft allenfalls mit
unverbindlichem Charakter.
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Diese juristischen Fragen können an dieser Stelle
nicht geklärt werden, deuten aber darauf hin, dass auf Bun-
desebene eher begrenzte Reformmöglichkeiten bestehen.
Im Lichte der Erfahrungen auf Landesebene ist zudem zu
erwarten, dass direktdemokratische Verfahren das politi-
sche Geschehen auf Bundesebene nicht grundlegend verän-
dern würden. Weitreichende Hoffnungen und Befürchtun-
gen scheinen daher nicht angebracht. Sofern direktdemo-
kratische Verfahren aber Wirkungen entfalten, dürften sie
dazu führen, dass die politischen Entscheidungen – im Ver-
gleich zu einer rein repräsentativen Demokratie – stärker
den Vorstellungen und Forderungen einer größeren Anzahl
von Bürgern entsprechen.
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Mit einer vorsichtigen Einfüh-
rung direktdemokratischer Verfahren könnte man daher
versuchen, dem weitverbreiteten Eindruck entgegenzuwir-
ken, politische Eliten hätten sich mit ihren Entscheidungen
von den Vorstellungen und Forderungen der Bürgerinnen
und Bürger allzu weit entfernt,
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und so die Unterstützung
des politischen Systems stärken. Damit ist allerdings nicht
gesagt, dass in der Folge bessere Entscheidungen getroffen
und die angestrebten Ziele tatsächlich erreicht würden.
25 Vgl. Werner J. Patzelt: Welche plebiszitären Instrumente könnten wir brauchen? Einige systematische Überlegungen, in: Jahrbuch für Di-
rekte Demokratie 2010, hg. v. Lars P. Feld / Peter M. Huber / Otmar Jung / Christian Welzel / Fabian Wittreck, Baden-Baden 2011, S.
63–106, hier: S. 83.
26 Vgl. Frank Decker: Volksgesetzgebung oder Volksveto? Überlegungen zur institutionellen Ausgestaltung der Direktdemokratie in der Bun-
desrepublik, in: Jahrbuch für Direkte Demokratie 2010, hg. v. Lars P. Feld / Peter M. Huber / Otmar Jung / Christian Welzel / Fabian Witt-
reck, Baden-Baden 2011, S. 37–62.
27 Siehe z. B. Lupia/Matsasuka (wie Anm. 4).
28 Allerdings könnte damit Parteien ein Weg eröffnet werden, sich ihrer Verantwortung zu entziehen, siehe hierzu Patzelt (wie Anm. 25). Eine
ausführliche normative Betrachtung unterschiedlicher direktdemokratischer Institutionen im Lichte unterschiedlicher Demokratietheorien
liefert Maija Setälä: Referendums and Democratic Government, Basingstoke 1999.
Offensichtlich vom Schweizer Minarettverbot inspirierte NPD-
Demonstration in Duisburg-Marxloh gegen Deutschlands
größte Moschee
Foto: ullstein bild – Markus Matzel
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