Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 45

Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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Direktdemokratische Verfahren auf Landes- und Bundesebene
mehr als vier Jahrzehnten der alten Bundesrepublik gab es
zehn Verfahren, in der folgenden Dekade 23, während seit
dem Jahr 2000 48 Volksbegehren gezählt wurden. Zu die-
sem Anstieg hat sicherlich die Tatsache beigetragen, dass in
den neunziger Jahren einige westdeutsche Länder sowie al-
le ostdeutschen Länder Volksbegehren einführten. Gerade
in diesen Ländern wurde die Möglichkeit zu Volksbegehren
recht häufig genutzt. Im Ländervergleich steht zwar Bayern
mit 19 Volksbegehren an der Spitze, auf dem zweiten Platz
folgt aber schon Hamburg mit 14 Begehren, eine Zahl, die
besonders bemerkenswert erscheint, wenn man sich vor
Augen führt, dass inHamburg Volksbegehren seit 1996 vor-
gesehen sind, in Bayern hingegen seit 1946.
Bei Weitem nicht alle Volksbegehren waren jedoch
von Erfolg gekrönt. Von den 81 Volksbegehren erreichten
lediglich 34 das jeweilige Unterschriftenquorum (Tab. 4).
Die Erfolgsquoten sind im Zeitverlauf relativ ähnlich ge-
blieben. Dieser Befund ist bemerkenswert, da in verschie-
denen Bundesländern im Laufe der Zeit die Zugangshürden
abgesenkt wurden und man insoweit mit einem Anstieg
der Erfolgsquote hätte rechnen können. Tatsächlich scheint
der Zusammenhang zwischen der Höhe der Unterschrif-
tenquoren und der Erfolgswahrscheinlichkeit aber schwä-
cher ausgeprägt zu sein, als man annehmen könnte. Dies
zeigt sich auch, wenn man einzelne Länder betrachtet. So
überwand beinahe die Hälfte der Volksbegehren in Bayern
die relativ hohen Zugangshürden, während unter den ver-
gleichsweise liberalen Bedingungen Brandenburgs nur in ei-
nem von neun Fällen die erforderliche Zahl an Unterschrif-
ten vorgelegt werden konnte. Eine Erklärung für diese Ent-
wicklung könnte darin liegen, dass in jüngerer Zeit und
möglicherweise begünstigt von niedrigeren Zugangshürden
vermehrt auch Volksbegehren initiiert wurden, die Anliegen
kleiner Bevölkerungssegmente ohne Aussichten auf Reso-
nanz in der Gesamtbevölkerung zum Gegenstand hatten.
Nicht alle Volksbegehren, die das Unterschriften-
quorum passierten, führten schließlich zu einem Volksent-
scheid. In immerhin 13 von 34 Fällen kam es nicht zum
Volksentscheid, weil der Gesetzesentwurf des Volksbegeh-
rens bereits im Parlament angenommen wurde. Das jüngste
Beispiel dafür liefert das bayerische Volksbegehren „Nein
zu Studienbeiträgen in Bayern“. Dieses hatte mit den Un-
terschriften von über 14 Prozent der Stimmberechtigten die
erforderliche Hürde von zehn Prozent problemlos genom-
men. Zu einem Volksentscheid kam es jedoch nicht, weil
sich der Bayerische Landtag im April 2013 dafür entschied,
dem Volksbegehren zu folgen.
14
Das heißt, das Volksbegeh-
ren erreichte sein politisches Ziel, ohne dass es zum Volks-
entscheid kam. Wie der letzten Spalte in Tabelle 4 zu ent-
nehmen ist, können Volksbegehren selbst dann einen poli-
tischen Erfolg erzielen und ihr Anliegen durchsetzen, wenn
sie das Unterschriftenquorum verfehlen. Offenbar war es
14 Siehe Bayerischer Landtag: Drucksache 16/16556.
Quelle: eigene Darstellung der Daten von Mehr Demokratie e.V. (
). Stand: 21.12.2013.
Baden-Württemberg
Bayern
Berlin
Brandenburg
Bremen
Hamburg
Hessen
Mecklenburg-Vorpommern
Niedersachsen
Nordrhein-Westfalen
Rheinland-Pfalz
Saarland
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein
Thüringen
Gesamt
1945–1989
1990–1999
2000–2013
Gesamtzahl
Volksbegehren
-
19
9
10
4
14
1
1
3
2
1
-
4
3
5
5
81
10
23
48
Quorum imVolks-
begehren erfüllt?
-
8
4
1
1
12
-
-
1
1
-
-
1
1
2
2
34
4
9
21
DurchVolksbegehren
initiierter Entscheid?
-
6
4
-
-
7
-
-
-
-
-
-
1
1
2
-
21
2
8
11
Parlamentarischer
Erfolg mit er-
reichtem Quorum
im Begehren
-
2
-
1
1
5
-
-
1
1
-
-
-
-
-
2
13
2
1
10
Parlamentarischer
Erfolg ohne er-
reichtes Quorum
im Begehren
-
2
-
2
1
-
1
-
-
-
-
-
1
-
1
1
9
1
1
7
Tabelle 4: Erfolg vonVolksbegehren in den Bundesländern
1...,35,36,37,38,39,40,41,42,43,44 46,47,48,49,50,51,52,53,54,55,...64
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