Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 33

Volksbegehren und Volksentscheid in Bayern – Geschichte und rechtliche Grundlagen
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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78 VerfGHE 52, 104/128 unter Verweis auf die Protokolle der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung und ihres Verfassungs-
ausschusses.
79 S. zur Argumentation im Einzelnen VerfGHE 52, 104/129 ff.
80 VerfGHE 52, 104/134.
81 VerfGHE 52, 104/135.
82 VerfGHE 52, 104/135 f. Mit der zeitlichen Einschränkung ist auch klargestellt, dass die Entscheidung vom 17. September 1999 der Gültig-
keit des Volksentscheids vom 1. Oktober 1995 zur Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid nicht entgegensteht, bei dem (bei
einer Abstimmungsbeteiligung von 36,8 % und 57,8 % Ja-Stimmen) eine Zustimmung von 25 % der Stimmberechtigten nicht erreicht wur-
de. Zur Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid s. die Entscheidung vom 29. August 1997 (VerfGHE 50, 181).
83 GVBl. S. 365.
84 Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BV.
sungsgeber auf eine ausreichende demokratische Legitima-
tion und Stabilität der Verfassung angekommen sei. So sei
zwar das ursprünglich vorgesehene Zustimmungsquorum
beim obligatorischen Verfassungsreferendum aufgegeben
worden, allerdings nur, weil man durch die erforderliche
Zweidrittelmehrheit der Mitglieder des Landtags in Verbin-
dung mit einer einfachen Mehrheit beim Volksentscheid die
Legitimation und Stabilität der Verfassung als gewahrt an-
gesehen habe.
78
Auch aus weiteren Erwägungen, insbeson-
dere aus dem Vergleich mit der verfassungsrechtlichen La-
ge in anderen deutschen Ländern, hat der Bayerische Ver-
fassungsgerichtshof hergeleitet, dass die Verfassung auch
im Volksgesetzgebungsverfahren gegenüber dem einfachen
Recht einen erhöhten Bestandsschutz genießen müsse.
79
Es
liege insoweit eine „planwidrige Unvollständigkeit des Ver-
fassungstextes vor, eine Lücke, die im Wege der Auslegung
zu schließen ist“.
80
Der Gesetzgeber sei von Verfassung
wegen verpflichtet, den Willen der Verfassung einfachge-
setzlich zu konkretisieren. Dabei müsse er einerseits die
Verfassungsstabilität und eine hinreichende demokratische
Legitimation plebiszitärer Verfassungsänderungen gewähr-
leisten, andererseits dürfe er aber vor dem Hintergrund der
hohen Wertschätzung der Verfassung für die Volksgesetz-
gebung das erforderliche Quorum nicht so hoch ansetzen,
dass die plebiszitäre Verfassungsänderung praktisch un-
möglich würde.
81
Eine mögliche Lösung sei ein Zustim-
mungsquorum von 25 % der Stimmberechtigten beim
Volksentscheid; diese Regelung hat der Verfassungsge-
richtshof „ab Verkündung dieser Entscheidung“ bis zu ei-
ner Regelung durch den Gesetzgeber angeordnet.
82
Durch
das Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom
28. Juni 2000
83
hat der Gesetzgeber das vom Verfassungsge-
richtshof vorgeschlagene Zustimmungsquorum eingeführt
(s. jetzt Art. 79 Abs. 1 Nr. 2 LWG).
Die demokratischen Grundgedanken der Verfassung als
Grenze ihrer Änderbarkeit
84
Insbesondere der Finanzvorbehalt des Art. 73 BV und das
nach dem Verfassungsgerichtshof in der Verfassung ange-
legte Erfordernis eines Quorums bei Volksentscheiden über
plebiszitär initiierte verfassungsändernde Gesetze legen die
Frage nahe, ob sich der verfassungsrechtliche Rahmen für
die Volksgesetzgebung dadurch erweitern ließe, dass eben-
diese Beschränkungen bzw. Hürden durch eine Verfas-
sungsänderung im Wege der Volksgesetzgebung beseitigt
oder gesenkt werden.
Dieser Versuch wurde 1999 mit einemVolksbegeh-
ren über den „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung derMit-
wirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger im Freistaat
Bayern“ unternommen. Der Gesetzentwurf sah unter an-
derem vor,
• das Einleitungsquorum für ein Volksbegehren von 10 %
auf 5 % der Stimmberechtigten zu senken,
• das Zustimmungsquorum bei vollplebiszitären Verfas-
sungsänderungen zu beseitigen und
Gegner der EU-Verfassung
demonstrieren am 27. Mai
2005 vor dem Bundesrat,
wo die Länderkammer
über die Annahme der Ver-
fassung der Europäischen
Union berät.
Foto: SZ-Photo – Rolf Zöllner
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