Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 8

gende Politik sind bei ihm nicht vorgesehen bzw. bringen
eher den Sonderwillen zum Ausdruck, als dass sie den Ge-
meinwillen befördern.
19
Rousseaus Prämissen der direkten Demokratie ste-
hen damit in fundamentalem Gegensatz zum Modell der li-
beralen repräsentativen Demokratie, das sich im 18. und
19. Jahrhundert zu verbreiten begann. Als deren wichtigster
Vordenker gilt John Locke. Seine
„Two Treatises of Govern-
ment“
(1689) legten bereits die Fundamente einer Theorie
der liberalen repräsentativen Demokratie, indem er u. a. den
Begriff politischer Freiheit als ein Recht auf Mitwirkung an
politischen Entscheidungen formulierte. Anders als in der
Versammlungsdemokratie steht bei Locke jedoch das ge-
wählte Parlament, das den Willen des Volkes repräsentiert,
im Zentrum. Nicht die unmittelbare Teilhabe an politischen
Entscheidungen, sondern das Wahlrecht für die gesetzge-
bende Versammlung ist ausschlaggebend.
20
Die Mandats-
träger erhalten einen Herrschaftsauftrag, den sie frei und
unabhängig ausüben, durch den regelmäßig stattfindenden
Wahlakt bleiben sie aber an den Volkswillen rückgekoppelt.
Locke überlässt es dem Demos, über die Staatsform – De-
mokratie, Oligarchie oder Monarchie – zu entscheiden (nur
dem Absolutismus erteilt er eine definitive Absage).
21
Weit-
aus bedeutsamer ist, dass jede legitime Herrschaft eingehegt
wird durch die „Normen des rechten Regierens“
22
, welche
sich auf den Schutz des Eigentums (
„property“
) jedes Ein-
zelnen – genauer dessen Leben, Freiheit und Vermögen –
beziehen. Zudem werden die Machtmittel von Legislative
und Exekutive begrenzt durch bestimmte rechtlich veran-
kerte Schranken bis hin zu einemWiderstandsrecht im Fal-
le schweren Macht- oder Rechtsmissbrauchs. Elemente des
Verfassungsstaats und der Gewaltenteilung sind hier schon
angelegt. Die so begründete legitime Herrschaft bleibt dar-
über hinaus stets gebunden an die mehrheitliche Zustim-
mung des Volkes.
23
Der Kerngedanke der repräsentativen Demokratie,
die Vertretung des Volkswillens durch auf Zeit gewählte Re-
präsentanten, ist auch und vor allem als Antwort auf die
Frage zu verstehen, wie die Demokratie in großen Flächen-
staaten gestaltet werden kann. Denn sowohl die antike als
auch die Rousseau’sche Versammlungsdemokratie wurde
für kleine, territorial überschaubare Gemeinwesen erdacht.
Das „Demokratieexperiment“ in denUSAwurde daher von
vielen zeitgenössischen Denkern, so v. a. Alexis de Tocque-
ville (
„De la démocratie en Amérique“
, 1835/40), als Vor-
bild betrachtet.
24
Indem die Demokratie von der amerikani-
schen Revolution als
„government by the people, of the
people, and for the people“
bezeichnet wurde, erfuhr der Be-
griff wieder eine positive Deutung.
25
Die in den Vereinigten
Staaten mit der Verfassung von 1787 begründete Staatsord-
nung stellte – wie in den sogenannten
Federalist Papers
26
(1787–88) heute noch in eindrucksvoller Weise nachzulesen
19 Vgl. ebd., S. 93.
20 Anhand der vom Volk bestimmten Ausformung der gesetzgebenden Gewalt unterscheidet Locke auch drei Staatsformen. Je nachdem, ob
darüber alle, nur wenige Auserwählte oder ein Einzelner verfügt, handelt es sich um eine vollkommene Demokratie, Oligarchie oder Mon-
archie; vgl. Schmidt (wie Anm. 7), S. 60.
21 Er lässt aber durchaus seine Präferenz für die Mischverfassung einer parlamentarischen Monarchie erkennen.
22 Schmidt (wie Anm. 7), S. 61.
23 Locke verstand hierunter allerdings lediglich die Vollbürger, zu denen er nur die über ein gewisses Eigentum verfügenden Männer rechnete;
vgl. ebd., S. 60–62 u. S. 64.
24 Vgl. ebd., S. 113–131.
25 Vgl. Vorländer (wie Anm. 4), S. 10. Überliefert ist diese Formel aus der „Gettysburg Address“ von Abraham Lincoln von 1863.
26 Die von Alexander Hamilton, James Madison und John Jay unter dem Pseudonym „Publius“ im Jahr 1788 veröffentlichten „Federalist Pa-
pers“ gelten bis heute als wichtigster Verfassungskommentar der USA. Die Autoren gehörten zur Gruppe der Föderalisten, die sich in der
amerikanischen Verfassungsdebatte für die Errichtung eines Bundesstaats mit einer starken, handlungsfähigen Exekutive auf Bundesebene
einsetzten.
Idee und Perspektiven der direkten Demokratie
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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Der deutsche König und römische Kaiser Friedrich I. Barba-
rossa (1122–1190) schlichtet auf dem Reichstag in Besanc,on
1157 den Streit zwischen Otto vonWittelsbach und dem Kardi-
nal Bandinelli. Die Reichs- und Landtage des Mittelalters gel-
ten heute als Vorformen moderner partizipativer Staatlichkeit.
Historienmalerei von Hugo von Blomberg
Foto: ullstein bild – Archiv Gerstenberg
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