Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 43

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
In der Studie geht es um das „warum“ von Radikalisierung und extremistisch motivierter Gewaltan-
wendung unter folgenden Fragestellungen: „Lassen sich biographische Konstellationen bzw. Wei-
chenstellungen ausmachen, die den Weg in den Extremismus – welcher ideologischen Provenienz
zunächst auch immer – wahrscheinlicher werden lassen? Welche Lebenswelten der Straftäter vermit-
teln sich, wenn der Versuch unternommen wird, diese aus der Perspektive der extremistischen bzw.
terroristischen Akteure selbst zu betrachten?“ (Ziercke 2010, V) gelegt.
Es wurden qualitativen Interviews mit männlichen Akteuren
25
, welche Verbindungen zu terroristi-
schen und/ oder extremistischen Umfeldern haben, geführt.
Folgende Arbeitshypothese wurde formuliert: In den diversen extremistischen Umfeldern beobacht-
bare Radikalisierungsprozesse bzw. die biografischen Verläufe der Akteure sind insbesondere durch
Gemeinsamkeiten hinsichtlich der psychosozialen Dynamik gekennzeichnet. Diese Hypothese wirkte
sich entsprechend auf die Ergebnissicherung aus. Es wurden ideologieübergreifende Gruppierungen
gebildet (Terroristen (n=3), Extremisten (n=23), Militante Radikale (n=7), Extremismusnahe Personen
(n=6) und die Befragten entsprechend der Kriterien
26
:
„Durchdringung der Ideologie,
Motive für Straftaten bzw. Gewalt und
Organisationsgrad“ (Lützinger 2010, 12)
diesen zugeordnet.
Als Ergebnis kristallisierte sich heraus, dass die Radikalisierungsverläufe von Akteuren unterschiedli-
cher extremistischer Gruppierungen mehr Gemeinsamkeiten aufweisen als vermutet. Es konnten
hinsichtlich der jeweiligen psychosozialen Verlaufsdynamik keine grundsätzlichen Unterschiede eru-
iert werden. Trotz der äußeren Unterscheidungskriterien der verschiedenen Extremismen (Links-,
Rechts- und islamistischem Extremismus) ergaben sich große Übereinstimmungen hinsichtlich der
persönlichen Motivation und der Auslösefaktoren bei der untersuchten Personengruppe.
Unabhängig von den jeweiligen Inhalten bieten die unterschiedlichen Ideologien und besonders die
betreffenden Gruppierungen den Betreffenden Orientierung und Unterstützung im Alltagsleben. Bei
allen Interviewpartnern wurden familiäre Rahmenbedingungen identifiziert, die von prekären Le-
benslagen und Entwicklungsstress geprägt waren. Die Befragten waren auf sich alleine gestellt und
ihnen wurde ein hohes Maß an individuellen Lösungs- und Bewältigungsstrategien abverlangt, da in
den Familien in hohem Maße dysfunktionale Formen der Bewältigung (vorwiegend Gewalt, Alkohol-
und Drogenkonsum) vorherrschten. Diese wurden von den Betroffenen auch auf andere Lebensbe-
reiche übertragen und führten zu weiteren Konflikten und sozialer Ausgrenzung. Die Befragten wen-
deten sich von der Familie ab, Peerkontakte nahmen die besondere Funktion von Familie ein, die
Bindung zur Clique war stark ausgeprägt. Zu längerfristigen Anbindung an eine Clique kam es im
Rahmen einer Lebenslage, die von den Befragten als „Phase des Alleinseins und der Orientierungslo-
sigkeit“ (ebd., 70) beschrieben wurden. Den Ergebnissen der Studie entsprechend rückte die über die
25 Die Befragten waren zum Zeitpunkt der Interviews zwischen 20 und 49 Jahren alt, die Hälfte aller Befragten war jünger als 28 Jahre.
Rekrutiert wurden die Interviewpartner über eine Recherche im zentral geführten polizeilichen Informationssystem, durch Hinweise aus
den Medien, durch Kontakte über Verweisketten und über eine direkte Kontaktaufnahme zu politischen Organisationen. Insgesamt wurden
45 Interviews geführt, davon konnten 40 in die Auswertung einfließen. 26 der Interviewpartner wurden dem rechtsextremistischen Milieu
zugeordnet, 10 dem linken und 6 dem islamistischen Milieu (vgl. Schweer 2010, 95ff.).
26 Zur Übersicht der jeweiligen Merkmale der unterschiedlichen Typen: Lützinger (2010, 19).
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