Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 33

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
Umständen nicht erzielt werden kann“ (Bötticher/ Mares 2012, 57). Im Sinne der Diversität ist Ge-
walt belanglos, bezogen auf Linksradikalismus spielt die Befürwortung von Gewalt aber durchaus
eine Rolle. Auch bedeutsam sind in diesem Zusammenhang das Ablehnen demokratischer Grundwer-
te sowie Intoleranz gegenüber anderen (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, o.A.).
Radikale bewegen sich im Unterschied zu Extremisten in ihrer gesellschaftlichen Nische, andere
Sichtweisen werden akzeptiert, daher ist in diesem Sinne auch ein Leben in Koexistenz neben ande-
ren gesellschaftlichen Gruppen möglich.
Neben den Politologen Backes und Jesse prägte im Wesentlichen der Soziologe Lipset (1967) den
Extremismusbegriff. Seiner Definition zufolge können auf einer Links-Rechts-Achse mit jeder Position
extremistische Vorstellungen verbunden sein. In diesem Kontext wird dann auch von einem „Extre-
mismus der Mitte“ gesprochen. Der Soziologe Heitmeyer (1991) griff diese Position in den 1990er auf
und stieß eine Diskussion darüber an, inwieweit Rechtsextremismus aus der Mitte der Gesellschaft
entsteht. Die größten Kritiker der Extremismusdefinition nach Lipset sind Backes und Jesse, die von
einer Entgrenzung des Extremismusbegriffes warnen
13
.
4.1.2 Der Linksextremismusbegriff in der Diskussion – kritische Stimmen
Die aktuelle Diskussion zeigt, dass keine konsensfähige Begriffsdefinition von Linksextremismus exis-
tiert (z.B. Ballhausen; Roßbach, 2010). So kritisiert bspw. Ballhausen (vgl. 2010, 57), dass der Begriff
in politischen Diskussionen und Auseinandersetzungen selbstverständlich verwendet würde. Damit
könnte der Eindruck entstehen, dass es sich um ein definiertes Phänomen handele.
Was in Deutschland als linksextremistisch bezeichnet wird, geht zum größten Teil auf die amtliche
Definition des Verfassungsschutzes zurück. Neugebauer (vgl. 2010, 9) kritisiert, dass diese Definiti-
onsversuche nicht auf eine fachwissenschaftliche Forschung aufbauen und sich nicht an wissen-
schaftliche Standards halten. Für die Forschung ist der Begriff, wie er von Seiten des Verfassungs-
schutzes definiert wird, nicht brauchbar – denn: ein normativer Extremismusbegriff hat ein Ver-
ständnis von Gesellschaft wie sie sein sollte und nicht wie sie tatsächlich ist, so der Autor (vgl. 2008,
6).
Möbius und Wendland (2012, 134) verweisen mit Bezug auf Glaser und Greuel (vgl. 2010) auf ein
Hearing „Linksextremismus“, das im Rahmen der „Initiative Demokratie stärken“ am 09.06.2010 in
Berlin stattfand und auf die Äußerungen der teilnehmenden Wissenschaftler, „dass
(Links-)Extremismus weder inhaltlich noch phänomenologisch eindeutig sei“.
Scherr (vgl. 2010) kritisiert an der durch den Verfassungsschutz verwendeten Definition, dass diese
nicht nur durch die Unschärfe hoch problematisch ist, sondern im Zusammenhang mit gewaltberei-
ten Linksextremisten allem voran auf die Autonome Szene verwiesen wird und damit die Autonome
Szene unter „Generalverdacht“ (Scherr 2010, 252) fällt. Darüber hinaus wird dabei die Möglichkeit,
dass es sich bei Gewalthandeln zwar um strafrechtlich relevante Delikte handelt, diese aber nicht
unbedingt politisch motiviert sein müssen in dem Sinne, dass sie sich gegen die FDGO richten, nicht
bedacht (Scherr 2010, 252). Gegen die Verwendung des Begriffs Linksextremismus wird weiterhin
konstatiert, dass radikale Gesellschaftskritik unter Extremismusverdacht gestellt wird.
13 Zur Kritik am „Extremismus der Mitte“: Backes, U.; Jesse, E. (2005). Extremismus der Mitte? Kritik an einem modischen Schlagwort. In:
Backes, U.; Jesse E.: Vergleichende Extremismusforschung. Baden-Baden: Nomos Verlags-Gesellschaft, S. 157–169.
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