Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 23

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
die Studie von Neu 2012). An dieser Stelle sei auf die kritischen Stimmen im Zusammenhang mit dem
Linksextremismusbegriff in Kapitel 4.1.2 verwiesen.
Dies machte deutlich, dass die Begrifflichkeiten „Linksextremismus“ und „linksextremistische Gewalt“
für eine Bearbeitung des Forschungsauftrags kritisch reflektiert und die Ausrichtung der Studie mit
dem Fokus auf das Gewaltphänomen überdacht werden musste. Die Gespräche mit Experten mach-
ten deutlich, dass sich die Zielgruppen nicht über das Thema Gewalt(-handeln) definieren (lassen),
sondern deren politisches bzw. gesellschaftliches Engagement für sie im Vordergrund steht. Laut
verschiedener Experten handele es sich vielmehr um eine Etikettierung von außen, eine Identifikati-
on über Gewalt finde nicht statt. Deutlich wurde auch, dass Gewalt(-handeln) als eine Randerschei-
nung gesehen wird und nicht automatisch von den Zielgruppen auf Gewalt(-handeln) geschlossen
werden könne. Außerdem wurde immer wieder betont, dass es sehr schwer werden würde, über-
haupt Interviewpartner zu finden, die sich zu einem Gespräch bereit erklären würden.
Der Reflexions- und der Rechercheprozess haben ergeben, dass es sich bei den Begrifflichkeiten
„Linksextremismus“ und „linksextremistische Gewalt“ um normativ besetzte Begriffe handelt.
Sowohl in der Definition des Verfassungsschutzes, der unter dem „amtlichen Extremismusbegriff“
Einstellungen zusammenfasst und ggf. sanktioniert, die die politische Mitte bedrohen und sich gegen
die freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) richten
9
(vgl. Verfassungsschutzbericht des
Landes Bayern 2010, 159), als auch im politikwissenschaftlichen Kontext
10
, in dem unter dem Begriff
„Extremismus“ politische Einstellungs- und Verhaltensmuster gebündelt werden, die sich auf der für
eine Operationalisierung politischer Orientierungen gängigen Rechts-Links-Skala an den äußeren
Polen befinden (vgl. Neugebauer 2010, 5; 2011, 1). Aktuelle Diskussionen zeigen, dass keine konsens-
fähige Begriffsdefinition von Linksextremismus existiert (z.B. Ballhausen 2011, Roßbach 2011). Viele
Definitionsversuche bauen nicht auf eine fachwissenschaftliche Forschung auf und halten sich nicht
an wissenschaftliche Standards, so Neugebauer (vgl. 2010, 9).
In dieser Studie werden zum einen keine Einstellungsmuster untersucht, zum anderen soll es nicht
um äußere Zuschreibungen und Etikettierungen gehen, es geht auch nicht darum Abweichungen von
der „Norm“ zu beschreiben, sondern vielmehr besteht ein Interesse daran, sich möglichst (ergebnis-)
offen einem noch fremden bzw. weitgehend unbekannten Phänomen zu nähern.
Die Erarbeitung von Modul 2 wird dementsprechend mit einem eher ethnografischen Blick vorge-
nommen. Schütze (1994, 201) versteht darunter eine Strategie im „Sinne einer frageoffenen, sze-
nisch-interaktiven, primärmaterialbezogenen, symbolisierungs-interpretativen, empathisch fremd-
verstehenden Erkenntnishaltung.“
Sich dem Phänomen mit dieser Haltung zu nähern machte eine
Öffnung der Thematik für den weiteren Forschungsprozess notwendig: das politische bzw. gesell-
schaftliche Engagement und der Protest der Jugendlichen wurden in den Fokus gerückt, um dann
auch etwas über die Grenzen des Engagements und Protests zu erfahren bzw. über die Mittel, die im
Rahmen von Engagement und Protest gewählt werden. Die Auswertung erfolgte in zwei Schritten.
Zunächst wurde das empirische Material gesichtet, qualitativ inhaltsanalytisch (vgl. Mayring 2007)
mit Unterstützung des Computerprogramms Maxqda codiert und in einer beschreibenden Form fest-
9 Dieser Form von Extremismus liegt die Vorstellung zu Grunde, dass die politische Mitte die demokratische Ordnung des Staates repräsen-
tiert. An den äußeren Rändern befindliche Bestrebungen bedrohen diese Ordnung. Mit dem amtlichen Extremismusbegriff wird das Han-
deln der Exekutive zum Schutz von Demokratie und Staat – besonders der Verfassungsschutzbehörden, und es werden darunter die Begrif-
fe Links-, und Rechtsextremismus gebündelt.
10 Die in Deutschland populärste Definition des Extremismusbegriffs geht auf die Politologen U. Backes und E. Jesse zurück. Dieser ist stark
von der normativen Ordnung des Grundgesetzes beeinflusst (vgl. bspw. Jesse 2004).
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