Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 17

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
rigkeit und die damit parallel einher gehende Zurechnung zu normgebenden Instanzen, definierte die
Lebenslage und den Optionsspielraum und sicherte und vereinfachte die Handlungswege. Mit dem
Übergang zur heutigen, zweiten Moderne wird der vordefinierte Raum kleiner und der individuelle
Spielraum größer. Identitätsprojekte des Subjekts haben einen weiteren Spielraum, müssen aber
zunehmend auch stärker selbst entwickelt werden. Auch die Selbstreflexion wird anspruchsvoller.
Dies nicht deshalb, weil die lebensweltlichen Ambivalenzen größer geworden wären, sondern die
Normalitätserwartungen heute breiter und diffuser sind. Damit werden die Folgen und Nebenfolgen
von Handeln für die eigene Identität weniger überschaubar. Anders gesagt, es ist weniger die Orien-
tierungsvielfalt (die gar nicht so viel größer als früher ist), sondern vielmehr sind es die fehlenden
Orientierungsmarken und die selbst im engsten Netzwerkkreis erlebten pluralisierten Lebensstile, die
die Identitätsarbeit komplexer gestalten. Und eben aus diesem Grund spielen Netzwerke in ihrer
Vieldimensionalität eine wichtige Rolle. Sie bieten Gelegenheitsstruktur für experimentelles Handeln,
einen Optionsraum für eine gelebte politische Haltung und Unterstützung bei der Frage der Normali-
tätsdefinition. So zentral Netzwerke sind, so dynamisch und fluide können sie gerade auch im Ju-
gendalter sein.
2.4 Forschungshypothesen
Die vorhandene Forschungslandschaft zu linksorientierter Gewalt ergibt wichtige Hinweise auf As-
pekte, die einer differenzierten Analyse bedürfen und gibt Veranlassung für eine eigenständige For-
schungsperspektive. Diese Merkposten für den eigenen Forschungsweg sind die folgenden:
a.
Gewalt ist nicht ausschließlich ein Jugendphänomen, ist aber ein Handlungsmuster, das
im Jugendalter eine besondere Häufung aufweist und deshalb auch entwicklungspsycho-
logisch und biografisch in die Phase des Erwachsenwerdens eingeordnet werden muss.
b.
Die Erfassung jugendlicher Gewalthandlungen durch staatliche Organe (wie Polizei oder
Verfassungsschutz) ergeben ein höchst unzureichendes Lagebild zu den speziellen Moti-
ven und Begründungen für gewaltaffine Handlungsbereitschaften.
c.
Es gibt gute Gründe, linksorientierte Gewalt und Gewaltbereitschaften nicht aus der Per-
spektive der Totalitarismustheorie zu deuten. Sie setzt Phänomene gleich, die bei genau-
erer Analyse höchst unterschiedliche Motiv- und Begründungsmuster aufweisen.
d.
Es besteht ein besonderer Bedarf an Forschung, die sich mittels qualitativer Befragungs-
methoden einen Zugang zu den subjektiven Handlungsbegründungen gewaltaffiner Ju-
gendlicher verschaffen.
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