Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 13

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
remistischen Doktrinen herausgearbeitet werden bzw. sind schon benannt: Absolutheitsanspruch,
Dogmatismus, Fanatismus/Aktivismus, Utopismus/kategorischer Utopieverzicht, Freund-Feind-
Stereotype und Verschwörungstheorien.
Diese Herangehensweise kann sicher auf der Ebene der kognitiven Einstellungsmuster einige Treffer
landen, aber sie liefert keinen Zugang zu den Fragestellungen des geplanten Projektes, das Antwor-
ten darauf erwartet, was speziell Jugendliche dazu bringt, sich auf der Suche nach einer für sie trag-
fähigen Identitätskonstruktion linksradikal zu identifizieren, sich gewaltbereiten Gruppen anzuschlie-
ßen und Vertrauen in die Wirksamkeit demokratischer Prozesse zu verlieren.
Ein Vertreter des Berliner Verfassungsschutzes (vgl. Schweizer 2010, 24) beschreibt die Personen-
gruppe, die in den Blick zu nehmen ist, wenn man solche Fragen fokussiert, folgendermaßen: Linke
Gewalt wird hauptsächlich von Heranwachsenden und jungen Erwachsenen begangen. Die Hälfte der
Tatverdächtigen war zum Tatzeitpunkt zwischen 18 und 24 Jahren alt. Dabei sind die Tatverdächtigen
überwiegend Männer (81%). Linke Gewalt ist daher in Teilen auch als Jugendphänomen zu begreifen.
Vieles deutet darauf hin, dass die Ausübung linker Gewalt bei den meisten Tatverdächtigen an eine
bestimmte Lebensphase gebunden ist. Mit zunehmendem Alter spielt Gewalt als Ausdrucksform eine
geringere Rolle. Linke Gewalt ist zudem ein Gruppenphänomen. 87% der Fälle wurden entweder von
Gruppen (71%) oder von Einzelnen aus einer Gruppe heraus (16%) begangen. Lediglich 13% wurden
nur von einem mutmaßlichen Täter begangen. Diese hohe Zahl ist nicht allein mit der großen Anzahl
von Demonstrationsdelikten zu erklären.
Die sozialisatorischen Bedingungen, die zu solchen Phänomenausprägungen führen, bedürfen einer
speziellen Erforschung. Man wird dabei nicht fündig werden, wenn man das Ideologienfeld des Links-
extremismus zu durchstreifen versucht. Wie die aktuelle Diskussion (vgl. Ballhausen 2011; Roßbach
2011) zeigt, gibt es zum einen keine konsensfähige Definition des Linksextremismus und der Ansatz
bei Wahlanalysen erweist sich ohnehin als völlig unbrauchbar. Weiterhin zeigt die bisherige Fachdis-
kussion, dass man die beschriebenen Akteursgruppen kaum über ein konsistentes und von den
Gruppenmitgliedern geteiltes Überzeugungsmuster charakterisieren kann. Es macht Sinn, sich „aus-
schließlich auf die Schnittmenge zwischen antidemokratisch, gewaltorientiert und linksextremistisch“
(Ballhausen 2011, 58) zu konzentrieren und in diesem Segment die jugendspezifischen Entwicklungs-
verläufe zu untersuchen, in der diese Haltungen einen spezifischen Sinn ergeben.
Benötigt werden für die Erforschung dieses Phänomens „sensitivierende Konzepte“, die weder ver-
fassungsschützerisch noch politisch vorkategorisiert sind. Aus unserer Sicht ist eine sozialpsychologi-
sche Perspektive sinnvoll, um die Schnittstelle zwischen politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedin-
gungen und subjektiven Orientierungen und Handlungsoptionen adäquat erfassen zu können.
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