Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 18

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
Auf dem so charakterisierten Diskursfeld der Forschung zu linksorientierter Gewalt haben wir uns zur
Formulierung der folgenden Hypothesen entschlossen:
1.
Politische Orientierungen im Jugendalter sind Teil eines Suchprozesses, in dem Subjekte ihre
identitäre Verortung in der Gesellschaft herauszufinden versuchen.
Schon in der klassischen Identitätstheorie von Erik H. Erikson gehört zu einer adoleszenten Identi-
tätsarbeit die Suche nach einer auch weltanschaulichen Verortung. Das elterliche „Identitätserbe“
wird nicht selten ausgeschlagen. Die Übernahme der politischen Orientierungen von den Eltern liegt
zwar immer noch bei bis zu 50%, das dann am ehesten der Fall ist, wenn Jugendliche im Herkunftsmi-
lieu verbleiben. Allerdings verlieren Herkunftsmilieus zunehmend an Bindekraft bzw. differenzieren
sich immer weiter aus. In Folge davon gibt es immer weniger feste Loyalitäten gegenüber Parteien
und den durch sie repräsentierten politischen Orientierungen (vgl. Hopf/ Hopf 1997). Gerade auch in
Milieus mit entweder sehr rigiden konservativen Einstellungsmustern oder sich auflösenden Orien-
tierungsmustern ist zu erwarten, dass sich Jugendliche entweder oppositionell positionieren oder
sich als „Kämpfer“ für eine bessere Welt verstehen. In diesem Zusammenhang spricht Richard Sen-
nett (1996) von „purifizierter Identität“, also einer phantasmatischen Vorstellung der eigenen „Sen-
dung“.
Es ist sinnvoll, die Optionen von Jugendlichen für linksorientierte Gewalt in Zusammenhang mit ju-
gendspezifischen Entwicklungsaufgaben zu untersuchen (vgl. dazu den 13. Kinder- und Jugendbe-
richt) und dabei besonders die durchaus komplexer und riskanter werdende Identitätsarbeit unter
Bedingungen spätmoderner globalisierter Lebensbedingungen (vgl. Keupp et al. 2006) zu berücksich-
tigen.
2.
Jugendliche suchen nach Selbstwirksamkeitserfahrungen. Je weniger der familiäre und schuli-
sche Kontext solche Erfahrungschancen liefern, desto faszinierender ist das Wirksamkeitspo-
tential der Gewalt.
Eine zentrale Dimension gelingender Sozialisation ist die Erfahrung, durch eigenes Handeln etwas
gestalten und im Sinne eigener Vorstellungen realisieren zu können. Diese Dimension steht im Zent-
rum der „Agency“-Theorie von Albert Bandura (1997), die die herausragende Relevanz von Selbst-
wirksamkeitserfahrungen herausstellt. Diese entstehen für Heranwachsende in Alltagssituationen, in
denen sie eigene Optionen entwickeln und erproben können. Sie können auf diese Weise in ihren
Lebenswelten Grundlagen für ihre Handlungsfähigkeit und ein Vertrauen in die eigene Handlungs-
wirksamkeit erwerben.
Wenn die aktuelle Sozialisationsforschung von „Handlungsbefähigung“ spricht (vgl. Grundmann
2008), dann verweist sie damit über die persönlichkeitstheoretische Perspektive hinaus und fragt
nach den Bedingungen der Möglichkeiten zum Erwerb von Handlungsfähigkeit. In den Erfahrungs-
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