Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 39

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
den Strafverfolgungsbehörden zufolge ein besonders hohes Maß an gewalttätigen Auseinanderset-
zungen und eine hohe Anzahl an Festnahmen gegeben. Für die Datenerhebung und –auswertung
wurden verschiedene Methoden miteinander trianguliert
16
: Aktenanalyse
17
, problemzentrierte quali-
tative Interviews
18
, wissenschaftliche Beobachtung anhand von Videoanalysen und Inhaltsanalysen
von Weblogs
19
(vgl. Hoffmann-Holland 2010, 8).
Als Ergebnis ist zusammenfassend festzuhalten, dass es sich bei den Ereignissen am 1. Mai 2009 um
ein komplexes soziales Geschehen handelte und diesen von unterschiedlichen Akteuren diverse Be-
deutungen zugeschrieben wurden. In der öffentlichen Debatte wurden die Ereignisse auf Gewalt
oder eine politische Motivation fokussiert. Den Ergebnissen der Studie zufolge wird diese Fokussie-
rung der Komplexität der Interaktionsdynamiken nicht gerecht.
Die Gruppe der Festgenommenen warf ein heterogenes Bild auf. Das Durchschnittsalter betrug 22,5
Jahre. Zum Zeitpunkt der Festnahme waren davon etwa 18% zwischen 14 und 17 Jahren alt, 24,5%
zwischen 18 und 20 Jahren, 31,5% zwischen 21 und 25 Jahren und 15% zwischen 26 und 30 Jahren
alt. 93% der Festgenommenen waren männlich. 46,8% der Festgenommen wurden nicht das erste
Mal polizeilich erfasst, jedoch konnten nur bei 15% dieser Gruppierung in der Vergangenheit Vorwür-
fe in den Zusammenhang mit politisch motivierten Straftaten nach polizeilicher und strafrechtlicher
Wertung gestellt werden.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass nicht ohne weiteres bei den Akteuren politische Zugehörigkei-
ten oder politische Positionierungen im Zusammenhang mit den gewalttätigen Auseinandersetzun-
gen der 1. Mai Demonstration 2009 identifiziert werden konnten und die Motivationen vielfältig und
diffus waren.
Dabei bewegte sich die Teilnahme zwischen dem Ausdruck des politischen Protests, einer Protesthal-
tung gegen die Präsenz der Polizei und der Teilnahme aus Spaß an einem interessanten Ereignis.
Die Bereitschaft zur Ausübung von Gewalt war bei den Demonstrationsteilnehmern in unterschiedli-
chem Maße vorhanden, ebenso divergierten die Motivationen zu deren Einsatz. Diese reichten von
situativen Gegebenheiten, die sehr von der Art der Präsenz und Handlungsweise der Polizei abhängig
gemacht wurden. Es gibt Akteure, die Gewaltanwendung befürworten, jedoch nur, wenn diese mit
klaren politischen Zielen verknüpft sind.
Akteure, die sich selbst als militant bezeichnen, betonten den Gewalteinsatz zur Durchsetzung ihrer
politischen Interessen. Militanz wird eingesetzt, um sich gegenüber staatlicher Autorität zu behaup-
16 Triangulation ist eine sozialwissenschaftliche Vorgehensweise, bei der verschieden
der Sichtweisen auf das gleiche Phä-
nomen angewendet werden oder verschiedenartige Daten zur Erforschung eines Phänomens herangezogen werden, um mit den Stärken
der jeweils einen Vorgehensweise die Schwächen der jeweils anderen auszugleichen. Ziel ist es zumeist, eine höher
er For-
schungsergebnisse zu erreichen un
zu verringern.
17 Bei den Akten handelte es sich um von der Staatsanwaltschaft Berlin zur Verfügung gestellte Strafakten. Ausgewählt wurden solche, die
im Zusammenhang mit den Ereignissen am 1. Mai 2009 von den Strafverfolgungsbehörden als „politische Strafanzeigen“ eingestuft wur-
den. Zur Problematik der Kategorie „politisch motivierte Kriminalität“ und der Auswahl siehe Hoffmann-Holland (2010, 13f.). Insgesamt
wurden aus 391 Akten Daten erhoben und ausgewertet. Rund 22% des Samples (87 Akten) konnte nur anhand der polizeilichen Strafanzei-
ge ausgewertet werden. Bei 13 Akten konnten keine Verbindungen zu den 1. Mai Demonstrationen festgestellt werden, so dass diese nicht
in die Auswertung einflossen.
18 Es wurden insgesamt 29 Interviews geführt. Davon gehörten vier der Befragten den strafrechtlich Verfolgten an, die anderen wurden
mittels Flyern und der Präsentation der Studie in Seminaren und Vorlesungen gewonnen.
19 Weblogs wurden zur Erfassung von Beschreibungen, Bewertungen und situativen Zusammenhängen bezüglich der Revolutionären 1.
Mai Demonstration im Stadtteil Kreuzberg und den sich daran anschließenden Auseinandersetzungen rund um das Kottbusser Tor analy-
siert. Es wurden insgesamt 72 Beiträge von Bloggern aus Diskussionsforen und Blogs in die Analyse einbezogen (vgl. Hoffmann-Holland
2010, 105ff.).
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