Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 34

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
Auf die Problematik, die dem Extremismusbegriff inne wohnt, wurde bereits auch in der Rechtsext-
remismusforschung hingewiesen. So wurde bspw. von Stöss (vgl. 2007, 17) kritisiert, dass der Begriff
weder wissenschaftlich noch verfassungsrechtlich begründet sei, sondern die Perspektive des Verfas-
sungsschutzes für die Definition grundlegend ist.
Was unter den Begriff „politischen Extremismus“ zu fassen ist, ist sowohl politisch als auch wissen-
schaftlich nicht eindeutig. Von Kritikern wird angemahnt, dass die Gefahr, die vom Rechtsextremis-
mus ausgeht, relativiert werde (vgl. Özturk 2010, 2). Damit wird auch die Gleichsetzung von Links-
und Rechtsextremismus unter dem Oberbegriff des politischen Extremismus problematisiert: Links-
extremismus wird als Gegenbegriff zum Rechtsextremismus verwendet, um damit ähnliche Bedro-
hungen zu beschreiben, die am linken Rand der politischen Skala entstehen im Unterschied zum
rechten Rand. Kritisiert wird, dass die Begriffsdefinitionen sich auf das einer komplexen modernen
Gesellschaft nicht gerecht werdende eindimensionale politische Spektrum, der Rechts-Links-Achse
beziehen (vgl. Neugebauer 2008, 1). Das Modell ist nach Neugebauer (vgl. 2010, 4) statisch angelegt
und kann durch die Reduktion auf links und rechts die Konfliktstruktur der Gesellschaft nur einge-
schränkt aufzeigen. Er konstatiert weiterhin, dass politischer Extremismus keine Verortung in der
Mitte der Gesellschaft findet, sondern nur als Randphänomen beschrieben wird und alleine durch die
„tatsächlich oder vermeintlich – von ihm ausgehende Bedrohung für den Kern der Verfassungsord-
nung“ (ebd.) definiert wird. Darüber hinaus wird ihm zufolge mit der Definition nicht deutlich, welche
Kriterien für die Übergänge zwischen den extremen Positionen und der politischen Mitte herangezo-
gen werden.
Passend zu den kritischen Stimmen soll auch noch auf eine aktuelle Kampagne (April 2013) „Ich-bin-
linksextrem - Eine Kampagne zum Extremismusquatsch“ der Linksjugend [´solid] und der GRÜNEN
JUGEND hingewiesen werden, die im Vorfeld der Veröffentlichung des aktuellen Verfassungsschutz-
berichtes (2012) gestartet wurde. Darin äußert sich die Kritik am Linksextremismusbegriff auch von
Seiten betroffener politischer Jugendverbände und es zeigt einen kreativen Umgang mit Zuschrei-
bungen.
Auf der Internetplattfor
und auf der Facebookseite
wird mit der Frage: „Ich bin linksextrem! Du auch?
dazu aufgerufen, sich mit einem Statement und Foto als linksextrem zu outen. Die Initiatoren der
Kampagne erklären ihren Aufruf folgendermaßen:
„Mit unserer Kampagne „Ich-bin-linksextrem“ nehmen wir dem Verfassungsschutz die restli-
che Arbeit ab und bieten eine Plattform auf dem man sich zu seinem persönlichen Linksextre-
mismus bekennen kann. Der Verfassungsschutz hat sich beim Outen von Extremist_innen nicht
sonderlich mit Ruhm bekleckert. Insbesondere die Definition von Linksextremismus ist wissen-
schaftlich diffus und politisch willkürlich. Allzuoft zeigt es die eigentlichen Beweggründe, unan-
genehme zivilgesellschaftliche Initiativen einzuschläfern, indem sie pauschal als Verfassungs-
feinde bezeichnet werden. Denn eine Zuschreibung als Linksextremist_in ist oft mit staatlicher
Brandmarkung und Behinderung des Engagements verbunden. In manchen Bundesländern wie
Bayern kann es sogar berufliche Einschränkungen nach sich ziehen. Oft reicht es schon irgend-
wie gegen Kapitalismus oder Neonazismus zu sein, um als linksextrem eingeordnet zu werden.
So wird die Linksjugend ['solid] seit ihrer Gründung wegen ihres antikapitalistischen und par-
lamentarismuskritischen Programm in Verfassungschutzberichten geführt. In Niedersachsen
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