Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 48

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
ganzheitlichen Sinne engagieren zu wollen. In Großstädten gibt es eine eigene Szene, es gibt Partys,
Kneipen, Treffpunkte, besetzte Häuser, Läden etc. In kleineren Städten ist es oft eine Sammelstelle
für alternativ, linke Jugendliche, die sich vor allen Dingen in der Antirassismus- und Antifaarbeit en-
gagieren wollen.
Das verbindende Element in der Autonomen Szene ist die Ablehnung des herrschenden Systems, das
nach Auffassung der Autonomen durch strukturelle Gewalt gekennzeichnet ist. Ansonsten gibt es
keine einheitliche Ideologie, die verschiedenen Gruppierungen sind über Themen und Aktionsfelder
miteinander verbunden. Die Themen, die sie aufgreifen, werden an das eigene Lebensumfeld rück-
gebunden. Ein Beispiel dafür sind die sogenannten „Voküs“, selbstverwaltete Betriebe, die in ver-
schiedenen Zusammenhängen entstehen, um Menschen alternative Lebensweisen wie bspw. in die-
sem Kontext alternatives Essen anzubieten. Es existieren keine festen Strukturen und Organisatio-
nen, vielmehr erfolgt eine Zersplitterung in Kleingruppen. Strukturen, die formale Hierarchien impli-
zieren, werden abgelehnt. In der Autonomen Szene steht Individualität und persönliche Verantwor-
tung im Vordergrund. Dies wird auch in der „Politik der ersten Person“ deutlich. Ein Experte be-
schreibt dies folgendermaßen: „Also ich beteilige mich, und ich mache das. Und von meinem Verhal-
ten kannst du nicht auf das Verhalten meiner Freunde oder Gruppe schließen.“ Die Szene ist sehr
individualistisch geprägt, gleichzeitig besteht der Anspruch der Rückbindung an das Kollektiv. Es gibt
zwar gemeinsame Ziele, die in Form von Aktionen und Projekten verwirklicht werden, aber das Kol-
lektiv besteht aus Individuen und Individualisten. Durch die Hierarchiefreiheit wird viel diskutiert,
jeder Einzelne wird zur (Selbst)Reflexion und Positionierung aufgerufen. Zentral dafür ist der Diskurs
in Form von stundenlangen Plena zu den verschiedensten Themen und Fragestellungen. Entschei-
dungen werden im Konsens getroffen.
Die Organisation erfolgt über das Engagement jedes Einzelnen und nicht über hierarchische Struktu-
ren. Für Projekte, Aktionen etc. werden kleine Teams zusammengestellt, die sich die Aufgaben un-
tereinander aufteilen. Man ist miteinander vernetzt, sieht sich, man verabredet sich und organisiert
sich, aber nicht in einem hierarchischen Sinn.
Ein Experte beschreibt den typischen Szeneangehörigen als Gymnasiasten, der aus einem bildungs-
nahen Zusammenhang kommt und der schon sehr früh den Wert des Buches und des Engagements
kennengelernt hat.
Der Einstieg in die Szene erfolgt im Jugendalter. Politisches Interesse und Engagement entwickelt sich
in der Jugendphase. „Jugend als Phase des Protests und der großen Empörung“ - im politisch linken
Bereich bietet die Autonome Szene die Möglichkeit, dem Ausdruck zu verleihen, so ein Experte.
Als Zugangswege zur Szene werden von den befragten Experten Musik, Partys, auch Clubs und Kon-
zerte genannt, das Internet und einschlägige Seiten spielen eine Rolle. Daneben erfolge der Zugang
über Freunde und Bekannte und deren Präsenz in der Szene und über das eigene Engagement in der
Antifaarbeit.
Was macht die Szene für Jugendliche attraktiv?
Man hat die Möglichkeit, radikale Kritik an der bestehenden politischen und ökonomischen
Ordnung zu üben.
Man hat die Möglichkeit der Selbstbestimmung und Selbstermächtigung.
Es gibt eine (relative) Abwesenheit von Hierarchien.
Die Szene bietet Freiräume (u a. im Sinne von alternativen Lebensweisen).
Die Szene ist ein Abenteuer- und Erlebnisraum.
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