Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 51

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
die ggf. aufgrund ihrer prekären Lebenslagen Unterstützung und Hilfe brauchen. Gleichzeitig wird
von den befragten Experten darauf hingewiesen, dass bei Jugendlichen aus linksautonomen Ju-
gendszenen ohnehin nicht damit zu rechnen ist, staatlich geförderte Angebote als Unterstützung zu
akzeptieren, da dies mit deren Autonomiekonzept nicht zu vereinbaren ist (vgl. Möbius/ Wendland
2012, 138).
Bezogen auf das Thema „Gewalt“ zeigen die Ergebnisse, dass es sich zum Großteil um keine politisch
motivierten Taten handelte, keine manifesten Jugendgruppen dahinter stehen, sondern dass Einzel-
täter (teilweise auch Erwachsene), aus sonstigen Gründen bspw. für die Sachbeschädigungen ver-
antwortlich waren. Die interviewten Experten sahen keine Zusammenhänge zwischen linksautono-
mer, politischer Motivation und den beobachteten Gewalthandlungen. Das gleiche gilt für Gewalt-
handlungen bei Demonstrationen. Die Tendenz zu Gewalthandeln auf Demonstrationen ist vorhan-
den, aber nicht unbedingt verbunden mit einer politischen Aussage.
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4.3.2.4 Studie „Links sein. Politische Praxen und Orientierungen in linksaffinen Alltagsmili-
eus“
Matuschek/ Krähnke/ Kleemann/ Ernst (2011) nehmen mit ihrer empirischen Studie die Gruppe der
„Linksaffinen“ in den Blick. Sie untersuchten aus einer Alltagsmilieu-Perspektive heraus die Deu-
tungsmuster und Wertvorstellungen und damit verbundene politische Praxen, die sich hinter der
individuellen Selbstverortung von Linksaffinen verbergen. In der Öffentlichkeit entstand das Bild der
„Mosaik-Linken“, um damit auf eine „Einheit in der Vielfalt“ (ebd.) zu verweisen. Dementsprechend
fokussierten die Autoren darüber hinaus die Frage, welche Konturen in dieser Einheit der Vielfalt zu
erkennen sind. Anhand der Analyse von qualitativen Einzel- und Gruppeninterviews und einer quanti-
tativen Repräsentativumfrage in unterschiedlichen Gruppen des linksaffinen Spektrums wurde eine
Rekonstruktion von politischen Praxen und damit korrespondierendem Wertorientierungen und
Wahrnehmungen unternommen.
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Die Auswertung sozialstruktureller Aspekte hat ergeben, dass Linksaffine im Vergleich zu Tendenzlo-
sen und Rechtsaffinen, eher zur hoch gebildeten und qualifizierten Bildungsschicht gehören und in
einem stärkeren Maße wissensintensive Tätigkeiten ausüben. Linksaffine sind tendenziell männlich
und jüngeren Lebensalters. Überdurchschnittlich viele des linksaffinen Spektrums sind noch in Aus-
bildung und unterdurchschnittlich viele Rentner. Sie sind im großstädtischen Umfeld in stärkerem
Maße verankert als auf dem Land, außerdem stärker im Osten als im Westen Deutschlands. Matu-
schek et. al. kommen zu dem Schluss, dass Linksaffinität nicht rein zufällig ist, sondern mit den darge-
stellten soziostrukturellen Merkmalen korreliert (vgl. ebd., 38ff.).
In Bezug auf Jugendliche haben sie drei unterschiedliche linke Alltagsmilieus beforscht: Antifagrup-
pen, institutionalisierte Interessenvertretungen im Bildungssystem und politische Praktikanten. Be-
30 Weitere Ergebnisse sind nachzulesen in: Möbius/ Wendland (2013), S. 136ff.
31 Für die Gewinnung der Daten wurden zwei qualitative Erhebungswellen mit einem Jahr Abstand durchgeführt, darauf folgte eine stan-
dardisierte Telefonbefragung. Fokussiert wurden die Ebene des Alltags der befragten Personen und insbesondere die politischen Praxen
und die dahinterstehenden Orientierungen. Von Oktober 2007 - April 2008 wurden 21 Gruppendiskussionen bzw. Fokusgruppeninterviews
mit Menschen geführt, die sich im selben sozialen bzw. politischen Kontext engagieren. Diese Gruppenbefragungen wurden ausgewertet
und im Anschluss daran dann zwischen November 2008 und April 2009 60 Einzelinterviews mit politisch bzw. gesellschaftlich Engagierten
aus dem linksaffinen Spektrum geführt. Um quantifizierbare Daten zu erhalten wurde die qualitative Befragung noch durch eine repräsen-
tative Umfrage ergänzt. Eine ausführliche Beschreibung des methodischen Vorgehens ist nachzulesen in Matuschek et. al. (2011, 25ff.).
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