Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 55

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
ren'“ (ebd., 253). Nach Scherr lässt sich empirisch feststellen, dass Jugendliche, die sich der Autono-
men Szene zugehörig fühlen, auch Angebote der Jugendarbeit wahrnehmen, er erläutert diese An-
nahme jedoch nicht weiter. Konzepte von Jugendarbeit bezogen auf diese Zielgruppe sind noch nicht
existent. Für eine Konzeptionsentwicklung stellen dem Autor zufolge Analysen einen wichtigen Aus-
gangspunkt dar, in denen darauf hingewiesen wird, dass die „verweigerte politische Kommunikation,
Prozesse der Ausgrenzung aus dem öffentlichen Diskurs, Stigmatisierung und verstärkte staatliche
Repression gerade jene Formen eines militanten Protestes mit veranlassen und verursachen können,
die sie zu verhindern beanspruchen“ (ebd., 253). Er fordert dementsprechend deeskalierende Pro-
gramme, die die Legitimität von Jugendprotest anerkennen und diesen als Aufforderung zum Dialog
begreifen. Nach Scherr werden Orte des Dialogs gebraucht, darüber hinaus ist Jugendarbeit aufge-
fordert sich gegen als linksextrem etikettierte Jugendszenen richtende repressive und stigmatisie-
rende Arbeitsweisen abzugrenzen. Es geht darum auf der Grundlage einer akzeptierenden Jugendar-
beit Orte des Dialogs anzubieten. Er befürwortet die Diskussion und Weiterentwicklung der „akzep-
tierenden Jugendarbeit“ im Hinblick auf die Arbeit mit linken Jugendszenen.
In Bezug auf politische Jugendbildung verweist Scherr darauf, dass Jugendliche, die sich in der Auto-
nomen bzw. Antifa Szene bewegen in hohem Maße politisch interessiert sind und ihre Kapitalismus-
und Staatskritik auf gesellschaftliche Problematiken verweisen und entsprechend ernstgenommen
werden sollte. In diesem Kontext sollte sich auch politische Jugendbildung mit diesen Jugendlichen
auseinandersetzen und mit ihnen gemeinsam ein differenzierteres Verständnis demokratischer und
rechtlicher Strukturen sowie grund- und menschenrechtlicher Prinzipien erarbeiten.
Nach Dovermann bestehen Anknüpfungspunkte zwischen politischer Bildungsarbeit und dem Thema
Extremismus in Bezug auf die Frage „welche Inhalte im Extremismus eigentlich diskutiert und inwie-
weit diese in der Gesellschaft wahrgenommen und rezipiert werden“ (Dovermann/ Güvcerin 2010,
17). Ihm zufolge ist die Ausgangsfrage, die an politische Bildung und Gesellschaft gestellt werden
muss jene, „ob es tiefgreifende Veränderungen mit Blick auf den Umgang mit Themen gibt, welche
große Teile der Gesellschaft verstärkt beschäftigen“ (ebd.). Die Frage, ob es vergleichbar zum Rechts-
extremismus auch für den Bereich Linksextremismus Tendenzen im Hinblick auf dessen Ausweitung
in der Mitte der Gesellschaft existieren sei relevant. Ebenso wichtig sei die Frage, ob es „Themen
rund um Revolution, Sozialismus, klassenlose Gesellschaft und weltweite Gerechtigkeit [gibt], die
jetzt zu großer Aktualität aufwachsen, und die geeignet sind, die politische Kultur insgesamt zu be-
einflussen“ (ebd.).
Für die praktische politische Bildungsarbeit sind nach Dovermann die Begründungen entscheidend,
die zur Legitimation von Gewalt herangezogen werden. Ihm zufolge behaupten Extremisten, egal ob
rechts oder links, sich in einer Notwehrsituation zu befinden. Ihr Weltbild stürzt sie in tiefe Verzweif-
lung. Die Zustände, die sie wahrnehmen bedrängen die Akteure dermaßen, dass sie glauben, sich
nicht anders als mit Gewalt dagegen wehren zu können. Für die politische Bildung besteht nun die
Aufgabe darin, die Frage nach der Notwehr zu fokussieren. Dies geht einher mit der Wahrnehmung
von Bedrängung der Menschen, die glauben, dass Politik ihre Probleme nicht lösen kann und ihre
Wünsche für die Zukunft nicht erfüllt (vgl. ebd., 18).
Problematisch für die politische Bildung ist nach Dovermann die ungenaue Definition des Terminus
„Linksextremismus“. Er stellt bspw. die Frage, ob Demonstrationen vor dem Weltwirtschaftsgipfel
schon „links“ sind? Oder Demonstrationen im Zusammenhang mit einem Castor-Transport? Und gibt
es nicht auch andere Typologien von Extremismus, die sich jenseits der Diskussionen um Rechts und
Links ergeben (vgl. ebd.)?
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