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Salafismus – eine Einordnung
Jihad
Der Begriff „
Jihad
“ bedeutet im Arabischen „Anstren-
gung“. An unterschiedlichen Stellen im Koran steht
Jihad
für „moralisches Sich-Abmühen“ auf demWeg oder für die
Sache Gottes. Dies bedeutet z.B. die Anstrengung des Ein-
zelnen, um die „inneren Laster“ und das „eigene Böse“ zu
bezwingen, um so eine moralisch bessere islamische Ge-
sellschaft zu verwirklichen. Dieses Verständnis vom
Jihad
wird von einigen Gelehrten als „der große
Jihad
“ bezeich-
net.
9
Ergänzend dazu wird
Jihad
im Koran in einer er-
weiterten Sinnzuschreibung verwendet. In diesem Kontext
ist die Bedeutung von
Jihad
offenkundig als gewaltsamer
Kampfbegriff zu verstehen. Diese legitimierte Gewaltan-
wendung wird sowohl defensiv als auch offensiv konzipiert
und dient als Mittel der Herrschaft. So werden die islami-
schen Eroberungen im Sinne eines offensiven
Jihads
ver-
standen. Die idealtypische Einteilung der Welt in ein „Ge-
biet des Islam“, in dem die islamische Rechtsordnung gilt,
und in ein „Gebiet des Krieges“, welches es zu erobern und
zu bezwingen gilt, verdeutlicht einen islamischen Expan-
sionsanspruch, der auch mittels Gewalt realisiert werden
kann. Dieser
Jihad
ist im Prinzip als Kollektivpflicht veran-
kert.
Jihad
als Individualpflicht ist im Falle einer äußeren
Aggression, die gegen das „Gebiet des Islam“ gerichtet ist,
vorgesehen.
10
Im Hinblick auf die gewaltsame Bekämpfung von
Ungläubigen bzw. Nicht-Muslimen spielt der
Jihad
eben-
falls eine Rolle. Im Sinne des gerade erwähnten Expansions-
anspruches galt und gilt es, jüdische sowie christliche
Siedlungsgebiete dem Islam zu unterwerfen, wobei Juden
und Christen als Angehörige der monotheistischen Religi-
on – im Koran als „Leute des Buches“ bezeichnet – histo-
risch
eine
Sonderstellung
zukommt.
Sie
wurden
als
„Schutz-Bürger“ behandelt und hatten eine Kopfsteuer zu
entrichten. In den späteren Expansionswellen wurde – auch
die gewaltsame – Bekehrung betrieben. Der
Jihad
in Bezug
auf Ungläubige bzw. Polytheisten dient grundsätzlich ihrer
Dezimierung, entweder mittels der physischen Vernichtung
oder aber der Konversion, wobei in der Praxis ein pragma-
tischer Umgang gepflegt wurde, wie z.B. die relativ friedli-
che Koexistenz der Muslime und Hindus in Indien gezeigt
hat.
11
Die landläufig etablierte Bedeutung von
Jihad
als
„Heiliger Krieg“ ist indes begrifflich falsch. Das Attribut
9
Charles Amjad-Ali: Jihad and Just War Theory: Dissonance and Truth, in: Dialog, Journal of Theology 38 (2009) 2, S. 244.
10 Küng (wie Anm. 7), S. 710 ff; Seidensticker (wie Anm. 5), S. 105 f.
11
Seidensticker (wie Anm. 5), S. 106.
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Foto: ullstein bild / Fotograf: Raimund Franken
schieden, sondern es müssen auch innerhalb des schiitischen
bzw. des sunnitischen Islamismus weitere Differenzierun-
gen getroffen werden.
Der Umstand, dass hier primär vom Islam gespro-
chen wird, verdeutlicht, wie eng das Religiöse mit dem Po-
litischen verwoben ist. Der Islam als Religion und juristi-
sche Quelle hat aus islamisch/islamistischer Perspektive ei-
nen Absolutheitsanspruch, er bestimmt alle Bereiche des
Lebens. Dieser Absolutheitsanspruch des Islam als göttliche
Rechtsordnung bedeutet im Weiteren, dass nur Gott der
Souverän sein kann – nicht das Volk.
Im Kontext des vorliegenden Beitrages kann Sala-
fismus zunächst einmal – bei einem weitgefassten Politik-
begriff – als eine bestimmte Ausprägung des sunnitischen
Islamismus betrachtet werden.
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