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Salafismus – eine Einordnung
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24 Krawietz (wie Anm. 22), S. 72.
25 Mohammad Gharaibeh: Zum Verhältnis von Wahhabismus und Salafismus, in: Salafismus in Deutschland. Ursprünge und Gefahren einer
islamisch-fundamentalistischen Bewegung, hg. von Thorsten Gerald Schneider, Bielefeld 2014, S. 118. Siehe dazu auch Emara (wie Anm.
20), S. 55.
26
Jahiliyya
bezeichnet die vorislamische Zeit auf der arabischen Halbinsel. Diese Zeit wird als die Zeit der Barbarei, Unwissenheit, Ignoranz
und die des explizit ausgelebten Polytheismus betrachtet. Siehe auch zu Jahiliyya William E. Shepard: Sayyid QutbTs Doctrine of Jahiliyya,
in: International Journal of Middle East Studies 35 (2003) H. 4.
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gehörigen der Überlieferungen“ und damit ein Verfechter
des Ideals der „rechtschaffenen Altvorderen“, in dem er –
unter anderem – die wortgenaue Lesart von Koran und
Ha-
dith
-Sammlungen priorisiert. Sein Bemühen, die theologi-
sche und juristische Reinheit und Wahrhaftigkeit des geleb-
ten Islams zu verwirklichen, gründete im Wesentlichen auf
dem Konzept der Einheit Gottes oder des Ein-Gott-Glau-
bens. Ferner wird der Koran als „das nicht-erschaffene
Wort Gottes“ betrachtet, das nicht historisch-kontextuell
zu begreifen ist, sondern als eine ewig geltende Wahrheit,
die wortgetreu gelesen und verstanden werden müsse.
24
Jeg-
liche Abweichung von diesen Grundsätzen wurde als Un-
glaube verstanden und entsprechend mit Exkommunika-
tion beantwortet.
Ein weiterer wichtiger historischer Anknüpfungs-
punkt für das salafistische Selbstverständnis bildet die Ära
des Gelehrten Muhammad Ibn Abd al-Wahab (1702–1792
n. Chr.). Das Vermächtnis von Ibn Abd al-Wahab, das heu-
te gemeinhin als „Wahhabismus“ weit verbreitet ist, wird
aus salafistischer Perspektive als eine reformatorische Leis-
tung betrachtet.
Den „real existierenden“ Islam auf der arabischen
Halbinsel zu jener Zeit nahm Ibn Abd al-Wahab zum An-
lass, eine strikte und umfassende Reform der religiösen und
politischen Verhältnisse vorzunehmen. Aus einer traditio-
nalistischen Weltsicht heraus und in Anlehnung an die Leh-
ren von Ibn Hambal und Ibn Taymiyya erkannte Ibn Abd
al-Wahab eine Entfremdung der islamischen Religion – in
praktischer, juristischer und theologischer Hinsicht. Insbe-
sondere die damals verbreitete Volksfrömmigkeit in Form
von Heiligenverehrung betrachtete er als Abfall vom „wah-
ren Glauben“.
25
Ibn Abd al-Wahab „unterstellte den An-
hängern der Heiligenverehrung einen impliziten Polytheis-
mus, da sie Schutz und Beistand nicht ausschließlich bei
Gott suchten, sondern auch bei frommen Menschen“. Die-
se strenge Beurteilung der Verhältnisse spiegelt sich in de-
ren Beschreibung als
jahiliyya
.
26
Seine Reaktion auf die
Missstände erschöpfte sich insbesondere in den theologi-
1...,57,58,59,60,61,62,63,64,65,66 68,69,70,71,72,73,74,75,76,77,...80
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