Einsichten und Perspektiven 1|15 - page 76

Interview
... zum Länderfinanzausgleich ... (Januar 2012) ...,
tiker diese Ereignisse kommentieren oder irgendwelche
Schlüsse daraus ziehen, aber zum Beispiel der 11. Septem-
ber, das Oktoberfestattentat 1980 oder diese jüngsten Hin-
richtungen waren bzw. sind für mich Tabus. Das Tabu fin-
det allerdings in den Geschmacksgrenzen des Einzelnen
statt. Wenn jemand angesichts der Enthauptungen durch
Isis nichts anderes zu tun hat, als sich ein Witzchen aus dem
Daumen zu saugen, … dann hab ich ein unangenehmes Ge-
fühl dabei.
Landeszentrale:
Dabei spielt es sicher eine Rolle, wie man
als Zeichner innerhalb der Szene „rüberkommen“ will …
Haitzinger:
Sicher. Es gibt auch deutliche Unterschiede
zwischen den Zeichnergenerationen, was das Verständnis
von Geschmack angeht.
Landeszentrale:
Wie sieht es mit Hitler als karikierte Fi-
gur aus, ist das salonfähig?
Haitzinger:
Den zu kritisieren war ja noch nie ein Tabu, da
kommt es aber auch wieder auf den Zusammenhang an. Im
Zusammenhang mit Pegida fände ich den direkten Vergleich
grenzenlos überzogen, den Vergleich Hitler-Saddam Hus-
sein finde ich legitim, um ein Beispiel zu nennen.
Landeszentrale:
Was haben Sie für einen Vorlauf für Ihre
Arbeiten?
Haitzinger:
Die Themen kommen jeden Tag neu. Ich höre
früh Nachrichten, weiß ungefähr, was auf mich zukommt.
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Einsichten und Perspektiven 1 | 15
Um die Mittagszeit telefoniere ich mit meiner Redaktion
[die der tz, d.R.] und wir legen uns auf ein Thema fest, dann
geht’s los.
Landeszentrale:
Haben Sie schon erlebt, dass Ihnen par-
tout nichts einfällt und Ihnen die Zeit davonrennt?
Haitzinger:
In fünfzig Jahren ist das zwei- oder dreimal pas-
siert. Es ist viel zu peinlich, stundenlang nachzudenken und
nichts abzuliefern. Auch die Reaktionen auf die Bilder sind
unberechenbar, ich habe viele Varianten erlebt: Man denkt
zum Beispiel, man hätte einen Geniestreich abgeliefert – und
keinMensch kapiert‘s [lacht] und umgekehrt, für eine Zeich-
nung, die man für schwach hält, kriegt man dickes Lob.
Landeszentrale:
Ändert sich die Wahrnehmung der Kari-
katuren durch die Leserinnen und Leser?
Haitzinger:
Ja. Ich habe mir abgewöhnt, darüber zu jam-
mern. Mein Leben hindurch war mein bevorzugtes Mittel
die Arbeit mit Metaphern, also zum Beispiel aus dem Be-
reich von Märchen, Balladen, biblischer Geschichte und so
weiter. Das hat früher jeder verstanden und hat – zumindest
bei Gleichaltrigen – immer funktioniert. Es gibt einen wun-
derbaren Fundus an Archetypen – aber wenn den niemand
mehr kennt, läuft das natürlich ins Leere. Heutzutage hat
man ganz andere Bezugspunkte, die mir wiederum fremd
sind. Ich binmit Müh undNot [lacht] vor vier oder fünf Jah-
ren dazu geprügelt worden, einen PC zu benutzen…
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