Einsichten und Perspektiven 1|15 - page 75

Interview
Horst Haitzingers Kommentar zum EU-Rettungsschirm (Oktober 2012) ...
Alle Karikaturen: Horst Haitzinger
Landeszentrale:
Das schüchtert Sie also auch persönlich
nicht ein?
Haitzinger:
Nein, also wenn es irgendwo die ersten Anzei-
chen von einer Bedrohung geben würde, würde ich mich
möglicherweise anders äußern, aber das ist weder nach dem
dänischen Karikaturendebakel noch jetzt eingetreten.
Landeszentrale:
Wie funktionieren Ihre Karikaturen?
Haitzinger:
Das kann man nicht auf einen Nenner bringen,
weil sie sich auf unterschiedliche Themen beziehen. Diese
bestimmen, ob man aggressiv, sachlich, lustig oder analy-
tisch zeichnen kann. In der Regel will ich für das politische
Tagesgeschehen eine Formel finden, die witzig ist und – wie
so schön heißt – die Sache auf den Punkt bringt und so ver-
einfacht, dass sie in kürzester Zeit erfassbar ist. Das Ereig-
nis gibt vor, was ich zeichne – ob der Bundestag ein Ren-
tengesetz beschließt oder ob wahnwitzige Terroristen je-
mand bei lebendigem Leib verbrennen.
Landeszentrale:
Gibt es Tabuthemen für Sie?
Haitzinger:
Bei Ereignissen so grauenhafter Dimension,
wie ich sie gerade genannt habe, ist Satire aus meiner Sicht
nicht das Mittel, dem beizukommen. Es gibt oft Folgeer-
eignisse, die man aufgreifen kann, wenn zum Beispiel Poli-
1
Anspielung auf eine „Titanic“-Ausgabe aus dem Juli 2012, mit dem Aufmacher „Die undichte Stelle ist gefunden“.
Einsichten und Perspektiven 1 | 15
75
Landeszentrale:
Sind Sie Charlie?
Haitzinger:
Ich habe es schon oft gesagt: Ich bin nicht
Charlie. Ich finde es grauenhaft, was in Paris passiert ist, ich
habe auch die gebührende Solidarität mit meinen französi-
schen Kollegen, aber ich kann trotzdem nicht sagen, dass die
Identifikation so weit geht, dass ich sagen könnte, ich sei
Charlie. Was die teilweise produziert haben, entspricht ab-
solut nicht meinem Geschmack. Ich stehe auf dem Stand-
punkt, dass man in einer Demokratie so geschmacklos, wie
man will, sein können muss, ohne um Leib und Leben zu
fürchten, aber trotzdem bin ich nicht Charlie. Ich finde die
Zeichnungen von Charlie Hebdo zum Teil infantil und ge-
schmacklos. Das soll aber kein Plädoyer für Harmlosigkeit
sein. Zum Thema Religion habe ich auch schon sehr viele
Karikaturen gemacht und da kann man gar nicht deftig ge-
nug sein – wenn man es an ein bestimmtes Anliegen kop-
pelt. Den Papst mit Urinfleck zu zeigen, wie es Titanic vor
einiger Zeit gemacht hat,
1
geht über die Grenzen des Ge-
schmacks hinaus und verletzt religiöse Gefühle.
Landeszentrale:
Hat das schockierende Attentat von Pa-
ris Ihre Arbeit verändert?
Haitzinger:
Überhaupt nicht.
1...,65,66,67,68,69,70,71,72,73,74 76,77,78,79,80
Powered by FlippingBook