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Salafismus – eine Einordnung
27 Stéphane Lacroix: Between Revolution and Apoliticim. Nasir al-Din al-Albani and his Impact on the Shaping of Contemporary Salafism,
in: Global Salafism. IslamTs New Religious Movement, hg. von Roel Meijer, London 2009, S. 59.
28 Gharaibeh (wie Anm. 25) S. 118.
29 Der Staat, der zu jener Zeit etabliert wurde, darf nicht mit dem modernen westeuropäischen Staatsmodell verwechselt werden, sondern er
ist vielmehr eine Form der zentralisierten Gebietsherrschaft traditionaler Prägung.
30 Emara (wie Anm. 20), S. 58 f.
31 Der schiitisch-sunnitische Gegensatz hat seine Wurzeln in der frühislamischen Phase, als Folge der Streitigkeiten um die Nachfolge Mu-
hammads als Anführer der islamischen Gemeinschaft. Sowohl Ali Ibn Abi Taleb (der Cousin und Schwager von Muhammad), als auch die
Weggefährten Muhammads (Abu Bakr al-Sidiq und danach Umar al-Khatab) beanspruchten die Führerschaft (das Kalifat) der islamischen
Gemeinschaft (
Umma
). Die Schiiten (die Anhänger Alis) sehen die rechtmäßige Führerschaft der Umma bei Ali und seiner Nachkommen-
schaft; sie anerkennen die Kalifen nicht. Die Sunniten wiederum betrachten die Schiiten als Ablehner und lehnen sie ab.
32 Der Sufismus ist eine heterogene mystische Strömung im Islam. Die Philosophie des Sufismus „beschäftigt sich mit Fragen der Metaphysik
und der Anthropologie und schafft so die theoretischen Grundlagen für die sufische Ethik und Praxis. […] [so bildet der Sufismus] seit der
Frühzeit einen zentralen Teil der islamischen Kultur und ist sowohl in Unterschichten als auch bei Herrschenden und Gelehrten verbrei-
tet“. Ralf Elger/Friederike Stolleis (Hg.): Kleines Islam-Lexikon. Geschichte, Alltag, Kultur, Bonn 2001, S. 216. Der Sufismus wird von Sa-
lafisten/Wahabis und von Traditionalisten als unerlaubte Neuerung des Islam gesehen und strikt abgelehnt.
33 Itzchak Weismann: Die Salafiyya im 19. Jahrhundert als Vorläufer des modernen Salafismus, in: Salafismus in Deutschland. Ursprünge und
Gefahren einer islamisch-fundamentalistischen Bewegung, hg. von Thorsten Gerald Schneider, Bielefeld 2014, S. 103.
34 Farid Hafez: Islamisch-politische Denker. Eine Einführung in die islamisch-politische Ideengeschichte, Frankfurt am Main/New York/Ox-
ford/Wien 2014, S. 95 f.
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wickelt. Dieser stellt heute noch in Saudi-Arabien die
Grundlage der Staatsdoktrin dar. Die Allianz zwischen dem
wahhabistisch-religiösen Establishment und der herrschen-
den Saud-Familie hat nach wie vor Bestand. Der zeitgenös-
sische Wahhabismus kann als eine permanente theologisch-
missionarische Reformbewegung verstanden werden, die
die traditionelle Identität der „Angehörigen der
Hadith
-
Sammlungen“ in Anknüpfung an Ibn Abd al-Wahab be-
wahren möchte. Diese traditionelle und rigorose Sichtwei-
se führt immer wieder zu Friktionen und Konflikten, insbe-
sondere mit Angehörigen anderer Strömungen im Islamwie
etwa mit den Schiiten oder aber den sunnitischen Sufis.
32
In deutlicher Abgrenzung zu den oben vorgestell-
ten Gelehrten (Ibn Hambal, Ibn Taymiyya und Ibn Abd al-
Wahab) entsteht in der Zeit zwischen dem 19. und dem 20.
Jahrhundert in Kairo und Damaskus eine neue Bewegung,
die als „Reform-Salafismus“ oder auch als „aufklärerischer
Salafismus“ bezeichnet wird. Die Protagonisten dieser Be-
wegung „waren Religionsgelehrte (
Ulema
), die vor dem
Hintergrund der kulturellen und politischen Herausforde-
rungen des westlichen Kolonialismus eine kritische Hal-
tung zum religiösen Glauben und zur religiösen Praxis ih-
rer Tage eingenommen hatten“.
33
Die herausragenden Per-
sönlichkeiten jener Bewegung waren Jamal al-Din al-
Afghani (1838–1897) und sein Schüler Muhammad Abdoh
(1849–1905). Die Denkansätze dieser Reformbewegung
hatten in gewisser Weise einen hybriden Charakter. Denn
sie waren modernistisch geprägt und gleichzeitig bezogen
sie sich auf die klassischen Werte des Islam. Im Mittelpunkt
standen jedoch immer die Bestrebung der Wiedererwe-
ckung der islamischen Zivilisation und die Befreiung von
der westlichen Dominanz. Für al-Afghani sollte dies mittels
einer revolutionär inspirierten pan-islamischen Einheit, ge-
stützt auf den wissenschaftlichen Fortschritt und die reli-
giöse Reinheit, erreicht werden.
34
Muhammad Abdoh ver-
schen Bestrebungen, die Glaubensgrundsätze zu reinigen
und zu stärken, allen voran das Konzept der Einheit Got-
tes.
27
Dieses umfasste drei wesentliche Komponenten: 1.
Die Einheit Gottes als Herr und Schöpfer dieser Welt (
taw-
hid al-rububiyya
); 2. die Einheit Gottes als einzige sowie al-
leinige Anbetungs- und Verehrungsinstanz (
tawhid al ulu-
hiyya
); 3. die Einheit Gottes als des alleinigen Besitzers be-
stimmter Attribute und Eigenschaften (
tawhid al-asma’ wa
al-sifat
).
28
ImHinblick auf denUmgang mit demKoran und
Hadith
-Sammlungen insistierte Ibn Abd al-Wahab gemäß
seiner theologisch-traditionellen Prägung eine wörtliche
Lesart von Koran und
Hadith
-Sammlungen.
Eine weitere Besonderheit des Wirkens von Ibn
Abd al-Wahab leitet sich aus seinem Anspruch heraus, die
Reinheit des Glaubens und die Einheit Gottes nicht nur in
theoretisch-theologischer Hinsicht zu etablieren, sondern
auch in Form der tagtäglichen religiösen Praxis zu leben.
Dies bedeutete explizit die Vereinnahmung von Herr-
schaftsstrukturen für die Umsetzung des wahren Glaubens.
Dies war der Ausgangspunkt für die Allianz zwischen Ibn
Abd al-Wahab und Ibn Saud, die den saudischen/mono-
theistischen Staat (1744 n. Chr.) etablierten. Durch die
Expansion wurde der theologische Einflussbereich von
Ibn Abd al-Wahab auf die gesamte arabische Halbinsel aus-
gedehnt. Es entstand eine „Arbeitsteilung“, die Ibn Abd
al-Wahab für die religiös-ideologische Ausrichtung und die
Saud-Familie für die herrschaftlichen Belange vorsah.
29
Dementsprechend wurden die kriegerischen Expansionen
als „
Jihad
“ für die Sache Gottes legitimiert. So wurden all
jene, die sich der Glaubenslehre Ibn Abd al-Wahab wider-
setzten, bekämpft
30
– hier sind insbesondere die Angehöri-
gen der schiitischen Konfession zu nennen, die Ibn Abd al-
Wahab als Ungläubige ansah.
31
In direkter Anlehnung an die Lehre und das Wir-
ken von Ibn Abd al-Wahab hat sich der Wahhabismus ent-
1...,58,59,60,61,62,63,64,65,66,67 69,70,71,72,73,74,75,76,77,78,...80
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