Einsichten und Perspektiven 1|15 - page 70

Salafismus – eine Einordnung
39 Mohammad Ghraibeh: Zur Glaubenslehre des Salafismus, in: Salafismus. Auf der Suche nach dem wahren Islam, hg. von Behmann
Said/Hazim Fuad, Bonn 2014, S. 107.
40 Ebd., S. 118.
41 Ebd.
42 Ghraibeh (wie Anm. 39), S. 111.
43 Bernhard Haykel: On the Nature of Salafi Thought and Action, in: Global Salafism. Islam3s New Religious Movement, hg. von Roel Mei-
jer, London 2009, S. 39.
44 Nedza (wie Anm. 16), S. 87.
45 Ebd., S. 88.
46 Joas Wagemakers: Salafistische Strömungen und ihre Sicht auf al-wala wa-l bara (Loyalität und Lossagung), in: Salafismus. Auf der Suche
nach dem wahren Islam, hg. von Behmann Said/Hazim Fuad, Bonn 2014, S. 67 f.
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Einsichten und Perspektiven 1 | 15
thentischen Bezugspunkte für die Rechtsfindung“.
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Um ei-
ne Vermeidung von verwerflichen Neuerungen (
ibdaa
) der
Glaubenslehre zu garantieren, wird die Befolgung einer
strikt literalistischen Auslegung von Koran und
Hadith
-
Sammlungen vorausgesetzt.
Die Zugehörigkeit zu einer sunnitischen Rechts-
schule wird innerhalb der salafistischen Strömung unter-
schiedlich gewertet und reicht von Ablehnung bis hin zu zur
Duldung.
Glaubenspraxis
(manhaj)
Neben Glaubenslehre und Methoden der Rechtsfindung
bildet die Glaubenspraxis – auch Glaubensmethode ge-
nannt – eine weitere Bezugskategorie, um Salafismus ideal-
typisch zu bestimmen. Die Glaubenspraxis ist die Umset-
zung der Glaubensinhalte bzw. die Anwendung der Glau-
bensgrundsätze im alltäglichen Leben. Hierbei „spielt die
Einbettung der Anhänger des Salafismus in die jeweiligen
politischen und sozialen Realitäten sowie deren Wahrneh-
mung und Interpretation eine wichtige Rolle“.
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Denn ge-
rade diese Sozialisation und Politisierung entscheidet in ho-
hem Maße darüber, welcher Weg eingeschlagen wird, um
das soziale Umfeld, und nicht nur dieses, religiös zu läutern
und politisch zu verändern. So lassen sich grob drei Metho-
den unterscheiden: 1. Die missionarische Aktivität (
dawa
);
2. politisches Engagement; 3. gewaltsames Vorgehen.
Ein zentraler Aspekt der salafistischen Denkweise
Glaubenslehre und Glaubenspraxis – ist das Konzept
„Loyalität und Lossagung“ (
al-wala wa al-bara
). Dieses
Konzept ist imWahhabismus als zentrale Doktrin verankert
und im Allgemeinen auch vom Salafismus angenommen.
Denn „Loyalität und Lossagung“ „sind der Inbegriff einer
scheinbar koranischen Pflicht, auf jede Art und Weise loyal
und gläubig gegenüber dem Islam und seinen Angehörigen
zu sein sowie Abstand von allem (oder jedem) hiervon ab-
weichenden zu halten“.
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Diese Doktrin lässt sich in drei
weitere Formen unterteilen: 1. Auf der einen Seite wird die
Loyalität gegenüber Gott, dem Islam und den Muslimen in
allen sozialen und zwischenmenschlichen Beziehungen ge-
fordert, auf der anderen wird auf der Lossagung bzw. dem
Abstand von allem, was dem ersten Punkt widerspricht, be-
standen; 2. muss der Grundsatz, dass keine politischen und
Durchführung […] auf einen mangelhaften Glauben ver-
weist, folglich über die Gültigkeit des Muslim-Sein ent-
scheidet […]“.
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Die drei Kerngrundsätze des Ein-Gott-Glaubens
lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Die Einheit Gottes
als Herr und Schöpfer der Welt (
tawhid al-rububiyya
).
Hierbei wird hervorgehoben, „dass Gott alleine der Urhe-
ber, Erhalter, Verwalter und Versorger der Schöpfung ist“;
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2. die Einheit Gottes als einzige sowie alleinige Anbetungs-
und Verehrungsinstanz (
tawhid al uluhiyya
oder „die Ein-
heit der Anbetung“,
tawhid al-ibada
). Hier wird darauf be-
harrt, „dass jede Art der Verehrung und Anbetung sowie
jegliches Ersuchen um Beistand allein auf Gott ausgerichtet
sein müsste“;
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3.
die Einheit Gottes als alleiniger Besitzer
bestimmter Attribute und Eigenschaften (
tawhid al-asma’
wa al-sifat
). Dieser Grundsatz bezieht sich auf „mögliche
und unmögliche Beschreibungen Gottes, d.h. mit welchen
EigenschaftenGott beschrieben werden darf, welche Hand-
lungen er begeht […]“
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und wie in diesem Kontext mit
nicht-eindeutigen Textstellen in den Schriften umgegangen
werden soll.
Neben diesen drei Kerngrundsätzen der Einheit
Gottes existieren noch weitere Grundsätze und Prinzipien.
So z.B. der stete Kampf – nicht unbedingt gewaltsam – ge-
gen Unglaube, insbesondere die Abwehr von Ideen, Hand-
lungen oder sonstigen Maßnahmen, die den Polytheismus
(
schirk
) stützen und Gottes Einheit widersprechen.
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Quellen und Methoden der Rechtsfindung
(usul al-fiqh)
Auch im Hinblick auf die Rechtfindung beziehen sich Sala-
fisten prinzipiell auf die „rechtschaffenen Altvorderen“,
insbesondere auf die Handlungen und Lebensweisen von
Muhammad. Hierbei wird grundsätzlich der Anspruch er-
hoben, dass nur der Koran und die sunnitische Propheten-
Tradition – die Überlieferungen der Weggefährten einge-
schlossen – als die einzig wahrenQuellen gelten. Sie sind da-
mit handlungsweisend sowie rechtsleitend und werden
ausschließlich zu Begründung von Autoritätsinstanzen he-
rangezogen. Denn für Salafisten sind „allein Koran und
Sunna vor vermeintlich später eingeführten illegitimen reli-
giösen Neuerungen [
bidaa
] sicher und garantieren die au-
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