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Salafismus – eine Einordnung
Salafismus in Deutschland
Abschließend wird im Folgenden auf den Salafismus als
deutsches Phänomen eingegangen. Im Angesicht von Kom-
plexität, Umfang und Diversität dieser Thematik in Bezug
auf Deutschland kann im Rahmen dieses Beitrags nur ein
Überblick darüber vermittelt werden, welche Bedeutung
Salafismus hierzulande hat.
Der „deutsche“ Salafismus ist wie sein Pendant in
der arabisch-islamischenWelt sehr facettenreich. Die obers-
te Maxime ist die Etablierung – ob gewaltsam, politisch oder
sozialaktiv – des „wahren“ und „reinen“ Islam der „recht-
schaffenen Altvorderen“.
Zum besseren Verständnis wird eine Einteilung des
Salafismus in eine jihadistisch-salafistische Prägung und in
eine
politisch-quietistische
Ausrichtung
vorgenommen,
diese sind weiter unterteilbar. Es handelt sich dabei um kei-
ne trennscharfe Kategorisierung, da die Grenzen zwischen
diesen Ausrichtungen sehr fließend sein können; sie dient
48 Ebd., S. 58 f.
49 Ebd., S. 60 f.
50 Ebd., S. 62 f.
51 Nezda (wie Anm. 16), S. 90.
52 Ebd., S. 91–100.
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Einsichten und Perspektiven 1 | 15
KontroverseThemen innerhalb der salafistischen
Strömung
Um die Heterogenität und Diversität des Salafismus zu il-
lustrieren, wird nun kurz auf eine kontroverse Thematik
Bezug genommen. Im Mittelpunkt steht der Aspekt der
Apostasie (
kufr
), also des Glaubensabfalls. Dieser Aspekt ist
sowohl im Islam als auch im Salafismus, insbesondere im ji-
hadistischen Salafismus, sehr zentral. Apostasie hat für die
betroffene Person schwerwiegende Folgen (unter Umstän-
den die Todesstrafe), „[da] die den Muslimen von Gott ga-
rantierte Sicherheit hinsichtlich ihres Lebens und Eigen-
tums allein von ihremGlauben abhängt, bedeutet der Glau-
bensabfall
den
Verlust
jeglichen
Rechtsanspruchs“.
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Hierbei gilt, dass die Apostasie eines Herrschers besonders
schwer wiegt, weil ihm als Oberhaupt einer Gemeinschaft
eine Vorbildfunktion zukommt.
Um den Apostasie-Vorwurf zu bestätigen – bzw.
mildernde Umstände berücksichtigen zu können, müssen
unterschiedliche Aspekte berücksichtigt werden, so z.B. die
Volljährigkeit, die Zurechnungsfähigkeit, die Frage, ob die
Handlung unter Zwang vollzogen wurde oder Fahrlässig-
keit und gar Unkenntnis dazu geführt haben.
Die
Kontroversen
innerhalb
der
salafistischen
Strömungen drehen sich um Fragen, wann und unter wel-
chen Umständen von Apostasie gesprochen werden kann.
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des Systems, so wie z.B. der Gelehrte Nasir al-Din al-Al-
bani in Jordanien. 2. Die „Loyalisten“ sind zwar nicht in
den politischen Betrieb involviert, lassen sich jedoch von
den Herrschenden auf Forderung einbinden. Diese Hal-
tung erklärt sich entweder aus wirklicher Überzeugung
oder aus Angst vor Repressalien. Beispiel dafür ist der Ge-
lehrte Muhammad Ibn Saleh al-Uthaimin in Saudi-Ara-
bien. 3. Die „Propagandisten“ betreiben aktiv die Loyalität
zu den Herrschenden und sehen diese Unterstützung als
Teil des Glaubens. Teile ihres religiösen Establishments in
Saudi-Arabien zählen dazu.
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Die politischen Salafisten
Die Protagonisten dieses Typus haben dezidiert politische
Positionen sowohl zur Innen- als auch zur Außenpolitik.
Sie sind entweder parteipolitisch organisiert und in Parla-
menten vertreten – wie die ägyptische Al-Nur-Partei oder
diverse Gruppen in Kuwait – oder aber sie sind außerparla-
mentarisch und sozial aktiv, wie in Saudi-Arabien und im
Libanon.
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Die „jihadistischen Salafisten“
Die jihadistischen Salafisten stehen im Mittelpunkt der öf-
fentlichen Wahrnehmung und prägen unser Bild vom Sala-
fismus. Das Konzept
Jihad
– als legitimierte Gewaltanwen-
dung – ist ein integraler Bestandteil des Islam im Allgemei-
nen und des Salafismus im Besonderen. Das zentrale
Merkmal jihadistischer Salafisten ist die Art des
Jihads
, den
sie bevorzugen, und die Frage, wann
Jihad
vorgenommen
werden soll. Wichtig für diese Ausprägung sind zwei Arten
des
Jihads
: 1. Der „revolutionäre
Jihad
“ wird als Folge der
Exkommunikation muslimischer Herrscher betrieben, um
muslimische Gesellschaften vom „Unglauben“ zu befreien
die Bekämpfung des „nahen Feinds“. 2. Der „globale
Jihad
“ zielt insbesondere auf die gewaltsame Bekämpfung
der westlichen Welt, um damit die Unterstützung des Wes-
tens für ihre arabisch-islamischen Vasallen zu beenden – die
Bekämpfung des „fernen Feinds“.
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Beispiel für den revolutionären
Jihad
ist die Grup-
pierungen al-Nusra-Front und Jaiyysch al-Islam im syri-
schen Konflikt. Verfechter des globalen Jihads sind die
„prominente“ Bewegung al-Qaida sowie der Gelehrte Ai-
man al-Sawahiri. Der „Islamische Staat“ bildet in diesem
Kontext eine Mischform, wobei das Hauptaugenmerk auf
der Bekämpfung des „nahen Feindes“ liegt.
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