Flagge China
Flagge China ©stock-adobe.com
Schülerinnen und Schüler berichten über ihr Auslandsjahr in China:

Insgesamt hatte ich eine sehr positive, spannende und vor allem erfahrungsreiche Zeit in meinem Auslandsjahr. Natürlich bin ich, wie bestimmt all die Anderen auch, mit einer großen Erwartungshaltung aufgebrochen, und vor allem jetzt, nachdem ich schon einige Zeit zurück in der Heimat bin, kann ich sagen, dass sich viel davon erfüllt hat.

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Ich lernte jeden Tag so viel Neues kennen, sei es über China, über die Kultur, Sprache, Mitmenschen oder über mich selbst. Ich lernte zugleich aber so viele neue Menschen kennen, aus aller Welt, aus komplett verschiedenen Kulturkreisen - jeder von ihnen ist speziell und individuell. Es ist so ein unbeschreibliches Gefühl, dass Menschen mit verschiedenen Charakteren, aus verschiedenen Ländern, aus verschiedenen Kulturen, ein gemeinsames Ziel vor Augen haben. Das verbindet uns irgendwie auf eine magische Art und Weise.

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Ich habe hier eine neue Familie gefunden und viele neue Freundschaften geschlossen. China ist das Beste, was mir passieren konnte!

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Ich werde häufig gefragt, was ich am meisten in China mag. Da gibt es zwei Dinge, zum einen die Hilfsbereitschaft und Höflichkeit der Chinesen und zum anderen das Essen. Seit ich wieder in Deutschland bin, sind das die zwei Dinge, die ich wirklich sehr vermisse. Nirgends habe ich so höfliche und nette Menschen kennengelernt, wie hier in China und noch nie zuvor hatte ich so interessantes Essen gegessen, wie in den chinesischen Straßenküchen.

In den ersten zwei Wochen hatten wir Sprachkurs und haben Sehenswürdigkeiten besichtigt.

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Denn kaum in Shanghai angekommen sind wir gleich mit dem Zug nach Nanjing (ca. 2,5 Stunden entfernt) gefahren, um dort für einen Monat an einem „Language and Culture Course" teilzunehmen. Mein Alltag in Nanjing sah folgendermaßen aus: Um 9 Uhr mussten wir immer in der Schule sein, wo uns am Vormittag immer von einer sehr netten Lehrerin Chinesisch beigebracht wurde. Sie hatte wirklich eine Engelsgeduld mit uns und durch ihre Mühe hat sich unser Chinesisch in dem Monat um einiges verbessert.

Das Essen in China war auch sehr gut, ich vermisse es jetzt schon. Vor allem in der Region Sichuan, in der ich war, gibt es so viele gute Sachen. Vor allem hat mir gefallen, dass man immer viele verschiedene Gerichte auf dem Tisch hat, von denen man dann wählen kann. Wenn im Restaurant gegessen wird, dann stapeln sich die Schüsseln schon mal auf dem Tisch und man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. In China kann man sich natürlich auch unterwegs überall Kleinigkeiten zum Essen kaufen, es gibt viele kleine Straßenküchen. Viele Gerichte sind gewöhnungsbedürftig, wie Hühnerfüße oder Schweineherz, aber man sollte alles zumindest einmal ausprobiert haben.

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Schon zum Frühstück gab es Baozi (ein Hefeteiggebäck mit Fleisch- oder Gemüsefüllung), Nudeln und Reis. Einfach lecker.

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Wie ist das Essen in der Schule? Vier Mal die Woche haben wir Reis mit irgendwelchen Beilagen (immer irgendein Fleisch und zwei verschiedene Gemüsesorten). Einmal die Woche ist Nudeltag, da gibt's dann wirklich sehr leckere chinesische Nudeln, die sogar so lecker sind, dass man sich dafür in eine extra „Nudelecke" setzen darf und sich so viel Zeit lassen kann, wie man will.

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Ein wirklich gutes Mittagessen bekommt man schon ab ca. 1 €. Nur wenn man unbedingt mal einen westlichen Kaffee benötigt, wird es teurer. Dann bleibt einem nichts weiter übrig als ein Besuch bei Starbucks. Die findet man im Gegensatz zu hier wirklich an jeder Ecke dort, allerdings zu fast den gleichen Preisen wie hier.

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Das Essen in Peking wäre eigentlich Stoff für ein ganzes Buch. Hier reichen die Speisen von süß bis scharf und man isst vieles durcheinander, wenn auch bei weitem nicht so exotische Dinge, wie Hund, Pferd oder Skorpion. Letztere kann man allerdings in der Pekinger Touristen-Hochburg Wangfujing erwerben. Ein festliches Essen wird komplett anders zelebriert als bei uns: Alle sitzen um ein mit Speisen gefülltes Karussell, welches man nach Belieben dreht und plündert.

Einer der Hauptfaktoren war eindeutig meine Gastfamilie. Ich habe mich einfach sehr wohl gefüllt, wurde sofort herzlich in die Familie aufgenommen. Damit wurde mir der ganze „Einstieg" in das neue Leben sehr viel einfacher gemacht.

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Meine Gastfamilie war so wahnsinnig hilfsbereit, offen und behandelte mich außerordentlich warmherzig, wie ein richtiges Familienmitglied und nicht wie einen Gast, was mich wirklich sehr freut, denn dann fühle ich mich auch wirklich wohl in China. Dank meiner Gastfamilie habe ich mich schnell eingelebt und verstand die chinesische Kultur auch viel besser. Ich fühlte mich wirklich sehr gut in ihre Familie integriert, da sie mir auch das Gefühl gaben, dass ich jetzt ein neues Familienmitglied von ihnen bin.

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Da meine Eltern kein Wort Englisch konnten und mein Chinesisch anfangs nur für leichte Unterhaltungen gereicht hat, war meine Gastschwester Tingting meine wichtigste Ansprechperson. Da wir gleich alt sind und sogar dieselben Hobbys teilen, fiel es uns überhaupt nicht schwer ein Gesprächsthema zu finden und wir sind sehr schnell gute Freundinnen - nein, was sage ich - einfach Schwestern geworden!

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Mit meiner ersten Gastfamilie hatte ich mehrere Probleme, deswegen habe ich im Dezember dann auch gewechselt. Meine zweite Gastfamilie war um einiges besser. Meine Gastmutter hat mich sehr beim Lernen unterstützt und mit meinem Gastbruder hatte ich immer sehr viel Spaß.

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Neben meinen chinesischen Freunden fand ich auch eine wundervolle Gastfamilie, die mich so herzlich aufnahm und sich so liebenswert um mich kümmerte, dass ich mich von Beginn an als Tochter und Schwester fühlte. Auch wenn die Sprache in den ersten Monaten eine große Hürde darstellte, so half mir meine Gastfamilie immer sehr geduldig mit den fremden Worten und Schriftzeichen. Sie öffneten mir in diesem Jahr nicht nur die Tür zu ihrer Wohnung, sondern auch die Tür zu ihrem Herzen. Es fühlt sich einmalig an, auf der anderen Seite der Welt Menschen zu wissen, die einem selbst so nahe stehen - trotz anderer Sprache und Kultur.

Sogar am Ende kann man teilweise noch nicht begreifen, warum Chinesen Dinge so anders machen. Mit Chinesen kann man zum Beispiel rein gar nichts planen, Termine werden nicht eingehalten und hat man etwas abgemacht, dann kann man sich sicher sein, dass es nicht glatt läuft.

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Das Frühlingsfest im Februar war sehr interessant. Mein Gastonkel und meine Gasttante wohnten mit meiner Gastcousine schon während der ganzen Woche bei uns. Am Tag des Vorabends dekorierten wir die komplette Wohnung mit Glückszeichen und Hasen (2011 war das Jahr des Hasen), natürlich alles in der Glücksfarbe „Rot“. Jeder trug ein neues Kleidungsstück. Meine Gastmutter hatte dafür jedem eine traditionelle Weste gekauft. Abends kamen noch die Großeltern dazu. Es wurde gefeiert und viel gegessen. Vor dem Essen wurden schon einmal (Neujahrs-)Kracher losgelassen. Die lauten Knallfroschketten stehen traditionell für die Vertreibung eines bösen Drachens. Um Mitternacht gab es noch einmal ein riesiges Feuerwerk, meiner Meinung nach übertraf es alle Silvesterfeuerwerke in Deutschland und es hat auch viel länger gedauert. Selbst als wir um halb ein Uhr morgens zum Tempel gingen, mussten wir noch auf die ganzen Feuerwerkskörper achten. Der Tempel war total überfüllt und wir kamen nur durch unsere Vorreservierung hinein. In Shanghai gibt es nur zwei Tempel, am ersten Neujahrstag gehen dort fast alle zum Beten hin. Nachdem wir dann morgens, als wir das erste Mal die Tür öffneten, noch einmal eine Knallkette mit etwa 2000 Knallern zündeten, war die Neujahrszeremonie vorbei. Auf dem Land wurde das Frühlingsfest noch über mehrere Tage hinweg gefeiert. Bei uns gab es am nächsten Tag Frühlingsrollen, die in China übrigens fast nur zu Neujahr gegessen werden.

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Am Chinesischen Neujahrsfest ist es Brauch, dass die Kinder von all ihren Verwandten Geld in roten Umschlägen bekommen. Wir waren also auf einer großen Familienfeier und ich habe von allen Verwandten Geld geschenkt bekommen, genauso viel wie mein Gastbruder. Ich wurde also auch von den Verwandten meiner Gastfamilie aufgenommen, was mich sehr beeindruckt hat.

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Zum Beispiel dieser Glaube an Drachen. Man baut in diesem Land tatsächlich ein großes Loch in einem Hochhaus ein, damit der Eingang zur Höhle eines Drachen, der im Berg dahinter wohnt, nicht blockiert wird. Oder die Sache mit der Brücke in der Stadt „auf dem Meer“ oder „Shanghai“ wie es in der Landessprache heißt. Diese Brücke stürzte immer ein, bis ein Priester den darunter schlafenden Drachen besänftigte. Vielleicht lag es aber auch einfach daran, dass man die Säulen der Brücke dann dicker baute.

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Die Menschen in diesem Land haben den Drachen sogar ein ganzes Fest gewidmet. Das Drachenbootfest. Bei dem wird – wie eigentlich immer dort – viel gegessen und es finden Rennen mit sogenannten Drachenbooten zwischen verschiedenen Teams statt. Ich selber nahm an so einem Rennen teil. Unsere Mannschaft wurde zwar nicht Erster, um genau zu sein Letzter, aber das hat uns nichts ausgemacht, da wir den Titel „Celebrity-Boat“ zugeschrieben bekamen. Wir waren nämlich die einzigen, mit zum Teil ausländischen Paddlern, und Westler genießen in diesem Land nun mal ein hohes Ansehen, genau wie Drachen. So wurden wir von allen gefeiert und hatten einen Riesenspaß.

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Oder diese Quadrophobie, die Angst vor der Zahl 4. Vier heißt dort „si“ und wird genauso ausgesprochen wie das Wort für „tot“. Also gibt es in vielen Hochhäusern keinen 4., 14., 24., 34. und natürlich erst Recht keinen 44. Stock. Die werden einfach weggelassen. Dafür sind die Zahlen 8 und 6 besonders toll. 6 bedeutet Glück und 8 bedeutet Reichtum, und Reichtum lieben die meisten Menschen dort über alles. So sehr, dass sie sogar für besonders tolle Zahlen zahlen. Ein Mobilfunkvertrag mit vielen 8ten ist nämlich teurer als mit vielen 4ren in der Telefonnummer. Ich hatte Glück, meine Nummer hatte keine 4, zwei 8-ten und eine 6, ohne dass ich mehr zahlen musste, aber ehrlich gesagt, war mir das eigentlich egal.

Chinesen sind unergründlich und handeln manchmal sehr verblüffend. Trotzdem trifft auf fast alle Chinesen folgendes zu:

  • seine Bettwäsche in die Sonne zu hängen,
  • alle drei Mahlzeiten warm zu essen (für mich ziemlich gewöhnungsbedürftig - wie
    Nudeln zum Frühstück),
  • kein Essen anzufassen, sondern alles mit Stäbchen zu nehmen oder aus Tüten zu essen (weswegen China einen hohen Plastikbedarf hat),
  • jeden Ausländer lange zu inspizieren, zu grinsen und mit lautem „Hello!" willkommen zu heißen,
  • ohne Hupen nicht durch den Verkehr zu kommen und den Fahrradweg als Abbiegspur zu benutzen,
  • im Winter einen dick gepolsterten Schlafanzug zu tragen (der oft üppige Muster aufweist),
  • die Nationalhymne nur halbherzig mitzusingen und
  • Yuebing (Mondkuchen) eigentlich überhaupt nicht zu mögen, aber trotzdem, der Tradition wegen, Tonnen davon zu verschenken.

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Auch andere Eigenheiten bringen mich oft zum Schmunzeln. So trifft man früh innerhalb des Hochhauskomplexes viele im Schlafanzug an, die spazieren gehen, den Hund ausführen oder Kinderwagen schieben. Ich konnte schon alle Arten von Pyjamas bewundern, von „Hello Kitty"-Nachthemden über schlichte Hose plus Hemd.

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Das erste, was mir an Shanghai aufgefallen ist, war der Verkehr: Ich kann mich noch allzu gut daran erinnern, wie ich es immer wieder verwunderlich fand, lebend auf der anderen Straßenseite anzukommen. Wir Europäer sind es schließlich gewöhnt, als Fußgänger in gewissem Sinne den Vorrang zu haben, wenn die Ampel grün ist. Von diesem „Vorrang" haben die Chinesen allerdings wohl noch nichts gehört, denn hier gilt die Regel, „Auto vor", und zwar egal, ob die Ampel nun rot oder grün zeigt. Selbst wenn man die Straße dann heil überquert hat, ist das noch kein Grund, sich in Sicherheit zu fühlen, denn die Fahrräder sollte man in China wirklich auch nicht unterschätzen. Immerhin sind die Chinesen begeisterte Benutzer der Hupe (oder der Klingel), somit wird einem immer ordentlich etwas ins Ohr „geklingelt", wenn man mal ein Fahrrad übersieht.

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In Beijing zu leben, hat mir die Unterschiede im Lebensstandard zwischen verschiedenen sozialen Schichten gezeigt. Diese Stadt ist bevölkert von den unterschiedlichsten Menschen. Den armen Wanderarbeiter aus der Provinz, der ohne Schulausbildung einer illegalen Arbeit auf einer der vielen Baustellen Beijings nachgeht, findet man genauso wie den erfolgreichen Top-Manager einer Firma im zwanzigsten Stockwerk eines modernen Hochhauses. Und dazwischen stehen sämtliche Arten und Dimensionen von Menschen, alle auf ihre Art faszinierend. Faszinierend genauso wie die Stadt, in der sie leben. Beijing beeindruckte mich vor allem zu Anfang, als ich die zahlreichen Kontraste noch nicht gewohnt war. Weltoffenheit, Tradition, kommunistische Einstellung und Moderne, das alles drängt sich in Chinas Hauptstadt auf engstem Raum. Starbucks Coffee Shop neben chinesischer Garküche, Mercedes neben Pferdewagen. Mitunter kam es mir auf meinem Schulweg, der mich zwanzig Minuten per Fahrrad durch Straßenschluchten führte, so vor, als würde ich im schnellsten Rhythmus durch Jahrhunderte springen. Das Leben in Beijing findet zum großen Teil auch noch heute auf der Straße statt, dort wo neben alten Karten spielenden Männern frisches Obst und Gemüse verkauft wird, während kleine Kinder am Straßenrand spielen.

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Deutsche neigen dazu, komplexe Probleme in kleine Einheiten zu unterteilen und diese Schritt für Schritt abzuarbeiten. Chinesen allerdings machen das nicht. Sie folgen keiner linearen Struktur und für Nicht-Chinesen hat das den Anschein als würden sie zwischen den Punkten hin- und herhüpfen auf der vergeblichen Suche nach einem passendem System. Planen ist wirklich nicht ihr Ding, allerdings sind sie deshalb umso kreativer und spontaner. Urlaubsantritt ohne Reservierung eines Hotels? Kein Problem, vor Ort wird sich schon was finden.

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Auch wurde mir beigebracht, wie wichtig die Einhaltung der Altershierarchie und Bewahrung des allgemeinen Wohlbefindens ist. Zum Beispiel sollte man niemals eine ältere Person öffentlich korrigieren, da sie sonst der Gefahr unterlaufen würde, ihr Gesicht zu verlieren.

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Auch Einhaltung des Feng Shui in der Hausgestaltung ist immer noch üblich.

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Individualismus jedoch wird nicht gerne gesehen. Man solle mit dem Strom und nicht gegen ihn schwimmen. Das ist auch ein Grund, warum es Chinesen sehr schwer fällt, eine eigene Meinung und Einstellung zu bilden.

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Grundsätzlich sind nämlich die Menschen dort viel mehr an unserer Lebensweise und unseren Bräuchen interessiert, als wir uns das überhaupt vorstellen können und als es umgekehrt der Fall ist. So werden nahezu alle großen Feste, die wir feiern, auch dort mit großem Enthusiasmus gefeiert. Weihnachten ist zwar nicht schulfrei, aber abends und am nächstliegenden Wochenende gibt es Partys. Die Läden sind passend geschmückt und im McDonald‘s wird bis ins Frühjahr hinein (exakt sogar noch im Mai) „Rudolph the red nose reindeer“ gespielt.

Am letzten Wochenende vor Schulbeginn versammelten sich alle Schüler, die neu in die 10. Klasse kamen, auf dem Sportplatz, um drei Stunden pro Tag Tai Chi zu trainieren. In meiner Schule wird die Morgengymnastik dienstags und donnerstags durch Tai Chi ersetzt. Wir hatten sogar kürzlich eine Tai Chi-Prüfung.

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Am ersten Tag in meiner neuen Schule musste ich mich vor 4.000 Leuten auf Deutsch, Englisch und Chinesisch vorstellen - den Oberstufenschülern, Lehrern und Eltern. Es war ein sehr schöner Moment, auf der Tribüne zu stehen und ich war kaum aufgeregt. Genau das war verwirrend: Wenn ich in Deutschland auf einer Bühne alleine etwas vorführen muss, versinke ich fast im Boden vor Nervosität, auch wenn es 3.990 Menschen weniger sind.

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Meine ganze Klasse applaudierte, als ich das erste Mal mein Klassenzimmer betrat. Danach kamen kichernde Mädchen aufgeregt zu mir und fragten mich, ob wir Freunde sein können. Alle waren sehr nervös und ich saß ziemlich verdutzt wegen der großen Aufmerksamkeit auf meinem Platz. Mit ungefähr 8.000 Schülern ist meine Schule riesig und ich hatte immer Angst, irgendein Klassenzimmer nicht zu finden. Zum Glück haben mich meine Klassenkameraden immer mitgenommen, weswegen ich mich nicht wirklich ernsthaft verirrt habe.

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In der folgenden Woche stand mein erster Schultag an. Am Tag zuvor hatte ich schon meine nette Klassenlehrerin kennengelernt und die Schuluniform, eine schwarze Stoffhose, ein weißes kurzärmliges Hemd und einen blauen Schulrucksack, bekommen. Aufgeregt war ich trotzdem sehr, als ich dann vor meiner 22-köpfigen Klasse stand und mich mit meinem Spickzettel in Pinyin (chinesischer Lautschrift) erst auf chinesisch und dann auf Deutsch vorstellen sollte, da meine Klasse auch Deutsch lernte. Meine Mitschüler waren alle sehr hilfsbereit, aber mir gegenüber anfangs auch sehr schüchtern. Wegen meiner noch sehr geringen Sprachkenntnisse konnten wir uns anfangs oft nur auf Englisch verständigen. Die ersten Wochen in der Schule waren sehr anstrengend für mich, da ich im Unterricht gar nichts verstand und meine Gasteltern mit mir jeden Abend die Hefteinträge auf Englisch übersetzten, weil sie meinten, ich solle im Unterricht mitkommen.

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Das ist auch so eine Sache hier, die Schuluniform. Zunächst einmal muss wirklich gesagt werden, dass die Schuluniform wie eine Joggingkleidung in XXL aussieht, dementsprechend sehen wir alle ein bisschen wir Müllmänner aus in einer blauen Uniform. Das war wirklich sehr seltsam, da ich es ja gewöhnt war in Deutschland anziehen zu können, was ich möchte. Schon nach kurzer Zeit habe ich allerdings die Vorzüge der Schuluniform kennen gelernt, denn die Verkäufer auf der Straße „verfolgen" immer recht gerne Touristen mit irgendwelchen Kleinigkeiten und das wird auf die Dauer wirklich nervig, wenn dich immer jemand fragt, ob du nicht eine „echte" Gucci Uhr oder eine Prada Tasche kaufen möchtest. Wenn du allerdings die Schuluniform trägst, dann denken sie auf den ersten Blick, dass du eine Chinesin bist und lassen dich in Frieden.

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Auch wenn die Klassen mit vierzig bis fünfzig Schülern in der 10. Klasse sehr groß sind, hat es doch eine gewisse familiäre Atmosphäre, da die Lehrer den Schülern sehr oft helfen. Als unsere Klassenlehrerin fragte, wie die perfekte Lehrerin sein sollte, wurde geantwortet, sie sollte ein wenig wie „eine Mutter oder ein Vater sein".

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Es dreht sich sehr viel um Schule, die fast die ganze Zeit von 7:10 Uhr bis 21:20 Uhr einnimmt. So erledigen die Schüler auch die Hausaufgaben in ihren Klassen. Das chinesische Feiertage- und Feriensystem ist ziemlich kompliziert: So gibt es am Wochenende (auch sonntags) regulären Unterricht, wenn unter der Woche wegen eines Feiertags die Schule ausgefallen ist.

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In der Schule wird nur Frontalunterricht gehalten und dieser geht von früh morgens bis spät abends. Zum Glück hatte ich viel Extraunterricht, wie z.B. Kalligraphie, Kung Fu und Kunst.

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Außerdem hätte ich nie erwartet, dass die chinesischen Schüler so streng von Lehrern in der Schule erzogen und zum Lernen eigentlich fast gedrillt werden. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich langsam daran und weiß dann auch wirklich unser deutsches Lernsystem zu schätzen. An diesen Punkten merkt man dann auch die Kulturunterschiede.

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Mein, nun mittlerweile absoluter, Schulalltag sieht folgendermaßen aus: Um 6:20 Uhr klingelt der Wecker und 20 Minuten später verlassen Tingting und ich das Haus. Dann fahren wir in einem komplett überfüllten Bus in die Schule. In Deutschland haben wir immer darum gekämpft einen Sitzplatz im Bus zu erlangen, hier kämpft man mehr darum, überhaupt in den Bus zu kommen, gegen 7:15 Uhr kommen wir dann in der Schule an und „erklimmen" zuerst die 100 Stufen (ja, ich habe nachgezählt) in den 6. Stock, um dort unseren Schulranzen im Klassenzimmer zu lassen. Dann müssen wir gleich wieder hinunter auf den Sportplatz, um dort zunächst einmal eine Rede von dem Direktor zu hören, die Nationalflagge zu hissen und danach die Morgengymnastik zu machen. Dabei stehen wir alle ganz ordentlich gestaffelt in 2er-Reihen auf dem riesigen Rasen vor der Schule - und das bei Wind und Wetter, aber nicht bei Regen). Die 6.000 Schüler unserer Schule stehen alle innerhalb von 10 Minuten perfekt geordnet auf dem Platz - immer wieder verwunderlich. Nachdem wir alle wieder heil im 6. Stock angekommen sind, haben wir Unterricht, und zwar drei Schulstunden (à 40 Minuten) bis es dann um 10:55 Uhr „Essenszeit" heißt. Wir gehen also alle wieder vom 6. Stock hinunter in die Kantine, wo wieder alles wie am Schnürchen läuft. Jede Klasse kommt zu einer bestimmten Zeit, im Viertelstundentakt und setzt sich klassenweise an zwei ausgeschilderte lange Tische, wo bereits das Essen wartet. Dann hat man eine Viertelstunde Zeit zum Essen und dann muss der Ordnungsdienst den Tisch für die nächste Klasse wischen und schon sind die nächsten dran. Sonst würde das mit 6.000 Schülern wohl eher weniger klappen, glaube ich. Nach insgesamt einer Stunde Mittagspause ist es dann 12 Uhr und der Unterricht beginnt wieder. Wir haben dann in der Regel noch 5 Unterrichtsstunden, bis es dann (die Pausen Inbegriffen: zwischen jeder Stunde 10 Minuten und zwei Mal am Tag „Augenmassage") 16:30 Uhr ist und wir nach Hause gehen dürfen.

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5.45 Uhr chinesische Zeit. Die Sonne ist noch nicht ganz aufgegangen und ich sitze schon beim Frühstücken. Heute gibt es Baozi (Teigtaschen) gefüllt mit Zucker und Sojamilch. Meine Gastmutter treibt mich zur Eile an, mein Gastbruder ist schon fertig und wartet ungeduldig. Heute dürfen wir auf keinen Fall zur spät kommen, denn es ist Montag. Montags ist Fahnenappell. Das heißt 4.000 Schüler stehen in Reih und Glied auf dem Sportplatz der Schule und schauen zu, wie mit Begleitung der chinesischen Nationalhymne die chinesische Nationalflagge gehisst wird. Reihe 16 von links stehe ich (Schüler 2011887) an 5. Stelle. Um 7.20 bewegen sich 4.000 Schüler in Richtung Schulgebäude. So beginnt ein typischer Schultag in China. Das hat für die letzten 10 Monate auch für mich gegolten.

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Die Schule setzt nicht auf die individuelle Förderung der Schüler, sondern auf stures Auswendiglernen und Aufsagen. In China wird das auch als Tianyashi (=Entenmästung) bezeichnet. Ich habe das ein Jahr lang live mitbekommen. Die Tests bestehen nur aus Fragen, die du mit A, B oder C beantwortest, Multiple Choice also. Für diese Teste muss man das Thema nicht unbedingt verstanden haben, um zu bestehen, sondern einfach nur das Schulbuch auswendig lernen. Trotz alledem hat das chinesische Schulsystem gegenüber dem deutschen auch viele Vorzüge gegenüber. Die Lehrer sind 24 Stunden am Tag erreichbar und man kann ohne schlechtes Gewissen um jede Uhrzeit bei ihnen anrufen, um Fragen zu klären. Außerdem hat man nach jeder Unterrichtseinheit, die hier nur 40 Minuten dauern, 10 Minuten Pause, um sich auszuruhen und vielleicht auch ein Nickerchen zu halten. Nach der 2. Stunde haben wir Morgengymnastik und nachmittags nach der 8. Stunde Augengymnastik.

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Die chinesischen Schüler sind mit Abstand, die fleißigsten die ich bisher kennengelernt habe.

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Allerdings neigen auch sie, wie jeder Schüler weltweit, zum Schummeln. Abschreiben der Hausaufgaben und bei Testen ist üblich.

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Wir haben am Anfang des Schuljahres ein kleines Buch bekommen, in welchem alle unerwünschten Verhaltensweisen aufgelistet werden: Haare färben, Schmuck, Nichttragen der Schuluniform, Make Up, „ungesunde Jungen-Mädchen-Beziehungen“, Umarmungen etc. Aber einen Weg zum Umgehen der Regeln gibt es immer, und da sieht man mal wieder, wie kreativ chinesische Jugendliche sein können. Auch verspüren anscheinend alle Mädchen weltweit gleichzeitig Druck auf der Blase, und der „Gruppenklogang“ ist auch hier üblich. Allerdings auch bei Jungs, was ich sehr amüsant fand.

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Schüler in China lernen aufgrund des enormen Leistungsdrucks nicht nur während der Woche, sondern auch am Wochenende. Wenn der Unterricht um frühestens fünf Uhr am Nachmittag vorbei ist, fangen die Hausaufgaben erst an, mit denen die Schüler bis spät in die Nacht beschäftigt sind. Am Wochenende sind zusätzliche Kurse in naturwissenschaftlichen Fächern und Englisch der Normalfall. So sehr ich diese Leistungsbereitschaft und Selbstdisziplin meiner chinesischen Freunde auch bewundere, an ihre Stelle versetzen möchte ich mich trotzdem nicht. Ein Jahr im chinesischen Schulalltag zeigte mir deutlich sämtliche Facetten dieser sehr stark durch Wettkampf geprägten Gesellschaft.

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Trotz der wenigen Freizeit meiner chinesischen Mitschüler und Mitschülerinnen, knüpfte ich sehr schnell Freundschaften. Sie bemühten sich rührend darum, mich in der Schule zu integrieren, was auch erfolgreich gelang und mir den Einstieg in den fremden Alltag sehr erleichterte. Anfangs schien es mir fast unmöglich, täglich mindestens zehn Stunden auf engstem Raum mit 50 Mitschülern in einem Klassenzimmer zu verbringen. Doch gerade wegen der langen gemeinsamen Zeit in der Schule, hatte ich die Chance, leicht neue Freunde zu finden. Diese halfen mir dann nicht nur bei der Eingewöhnung, sondern auch enorm beim Erlernen der chinesischen Sprache, sodass ich sehr schnell große Fortschritte machte.

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Überhaupt werden die Schüler dort mehr „bemuttert“ als bei uns. Andauernd werden den Schülern Vorschriften gemacht, was sie tun und lassen sollen, um sich gesund zu erhalten und damit sie sich nirgendwo verletzen. Natürlich geht einem jugendlichen Schüler diese übertriebene Fürsorge irgendwann auf den Geist, aber andererseits ist das ganze Verhalten so, dass die meisten Lehrer sich sehr für die Schüler verantwortlich fühlen, versuchen eine besondere, fast elterliche Beziehung aufzubauen und für alle Sorgen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.

Die größten Probleme hat man am Anfang mit der Sprache, die Verständigung auf Chinesisch erfolgte bei mir zuerst wohl eher mit Händen und Füßen. Auch mir wurde geraten, schon vor der Abreise Chinesisch zu lernen und ich habe es trotzdem nicht wirklich gemacht. Aber an dieser Stelle möchte ich genau den gleichen Rat geben. Denn selbst die geringsten Sprachkenntnisse sind am Anfang schon von sehr hilfreich.

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Das Wichtigste um sein Chinesisch zu verbessern ist aber eindeutig die Sprachpraxis, also mit Chinesen zu sprechen, zu versuchen selber Dinge einzukaufen (schon von Anfang an), im Restaurant selber sein Essen zu bestellen und seine Sachen selber zu regeln.

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Vor allem nachdem ich mehr und mehr die Sprache verstand, öffneten sich mir neue Türen, weil ich mich auf einmal mit den Klassenkameraden richtig unterhalten konnte. Auch im Alltag konnte ich dann noch mehr selbständig machen. Und den Spruch „Die Sprache ist der Schlüssel zu den Menschen“ kann ich nur bestätigen. Ich konnte irgendwann nicht nur verstehen, was die anderen zu mir sagten, sondern ich fing auch an, die Menschen besser zu verstehen. Manches Verhalten stand plötzlich in einem neuen Licht da.

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Über das Jahr lernte ich natürlich viel dazu, doch oft fing ich an, mit jemandem auf Chinesisch zu reden, worauf dieser auf Englisch antwortete, denn für viele Chinesen scheint es undenkbar, dass ein Ausländer ihre Sprache beherrscht.

Diese prägende Zeit [das Auslandsjahr] war wohl die lehrreichste und intensivste meines bisherigen Lebens. Es lässt sich kaum beschreiben, was ich im Ausland alles erlebt, gesehen und erkennen gelernt habe. Situationen, die mir anfangs völlig fremd und ungewohnt vorkamen, wurden mit der Zeit zum festen Bestand meines dortigen Lebens. Ich habe eine neue Sprache gelernt, neue tiefe Freundschaften geknüpft, mir in einem völlig neuen Umkreis in einem anderen Land meinen Platz gesucht und ihn auch gefunden.

Stand: 27. März 2024

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