Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 63

Aischylos als politischer Dramatiker und die Tragödie der Demokratie
Einsichten und Perspektiven 1 | 14
63
25 Nicolai (wie Anm. 20), hier S. 18.
26 Vgl. Simon Goldhill: Battle Narrative and Politics in Aeschylus‘ Persae, in: JHS 108 (1988), S. 189–193.
27 Hans Joachim Mette: Aischylos und das Problem des Krieges, in: Aischylos und Pindar. Studien zu Werk und Nachwirkung. Hg. v. Ernst
Günther Schmidt. Berlin 1981, S. 154–160, hier S. 155.
28 Goldhill (wie Anm. 26), hier S. 192. Der gleichen Ansicht ist H. Kuch: Individuum und Gesellschaft in der tragischen Dichtung der Grie-
chen. In: Die griechische Tragödie in ihrer gesellschaftlichen Funktion, hg. v. Heinrich Kuch, Berlin 1983, S. 61–83, hier S. 66 f.
Die im Krimkonflikt beteilig-
ten Konfliktparteien setzen
auf Härte statt auf Verhand-
lungen. Das katastrophale
Ergebnis der darin zum Aus-
druck kommenden Hybris
ist für den Karikaturisten ab-
sehbar. Ein ganz ähnliches
Erklärungsmuster – freilich
mit klareren Schuldzuschrei-
bungen – findet in Die Perser
von Aischylos Verwendung.
Foto: picture alliance/
dieKLEINERT.de/Schwarwel
ein bestimmtes Maß, eine Grenze überschreiten. Auch in
Die Perser
findet eine Grenzüberschreitung statt, nämlich
die Überschreitung der göttergewollten Grenze zwischen
Asien und Europa.
Es lassen sich also zwei verschiedene, unverbunden
nebeneinander stehende Erklärungen für die Niederlage der
Perser ausmachen, einmal die
Hybris
, die in der
Überbrü-
ckung
, der Fesselung des Hellespont liegt, zweitens die Hy-
bris, die in der
Überquerung
des Hellespont, also des Über-
schreitens der Erdteilsgrenze liegt. Und interessanterweise
enthalten beide darüber hinausgehende politische Implika-
tionen:
WieWalter Nicolai festgestellt hat, wird in den
Per-
sern
erstmals das Motiv der
Hybris
nicht nur auf der Ebene
heroischer Einzelpersonen, sondern auf der Ebene eines
großen, zwischenstaatlichen Konflikts, auf einen Erobe-
rungsfeldzug angewendet. Selbstbescheidung ist auch auf
staatlicher Ebene nötig, weil die Götter Maßlosigkeit, Gier
und Selbstüberschätzung strafen. „Mit anderen Worten:
Das Motiv wird zum ersten Mal zur Imperialismus-Kritik
gebraucht.“
25
Politisch vielleicht noch brisanter ist der im Motiv
der nicht zu überschreitenden Erdteilsgrenzen angelegte
Gegensatz zwischen Asien und Europa. Wie Goldhill
26
richtig feststellt, ist es ein zentraler Bestandteil des Stücks,
den Gegensatz zwischen Griechen und Persern herauszu-
stellen: Bei den Persern herrscht orientalischer Luxus (üb-
rigens auch ein griechischer
Topos
), die Griechen hingegen
nutzen das wenige gemeinsame Gut zum Flottenbau. Dem
monarchischen, allein verantwortlichen Heerführer Xerxes
steht die gemeinsame, demokratische Führerschaft gegen-
über, weshalb die Griechen auch nie namentlich genannt
werden. Auch die unterschiedliche Kampfweise von Grie-
chen und Persern wird in zweierlei Hinsicht zum Symbol;
wichtiger als die Symbolik der Phalanx als Symbol des Ma-
ßes gegenüber dem persischen Bogen als Symbol der Maß-
losigkeit,
27
erscheint dabei der Gegensatz der mit der Pha-
lanx verbundenen Ideologie gegenüber der der persischen
Krieger, deren Kontingente von herausragendenHelden an-
geführt werden. Gegen diese lange Liste von Helden steht
die anonyme Kollektivität der griechischen Phalanx, aus der
keiner besonders hervorgehoben wird, sondern die als ho-
mogener Körper siegt - zur höheren Ehre der isonomen Po-
lis, deren Name auch als einziger im Stück genannt wird:
Athen
(vgl. V. 231). Es ist plausibel, in dieser
„subsumption
of the individual into the collectivity of the
polis [...]
a basic
factor in fifth-century Athenian democratic ideology“
28
zu
sehen. Wie bereits dargestellt, besteht die hauptsächliche
Funktion des festspielhaften Rahmens der attischen Tragö-
die darin, die Bürger auf ihre Polis einzuschwören und der
1...,53,54,55,56,57,58,59,60,61,62 64,65,66,67,68,69,70,71,72,73,...76
Powered by FlippingBook