Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 53

Aischylos als politischer Dramatiker und die Tragödie der Demokratie
Einsichten und Perspektiven 1 | 14
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Was gehen die Dichter den Historiker an?
Das Interpretationsproblem
Grundlegend für jede Beschäftigung mit Aischylos als po-
litischem Dramatiker ist die Hypothese, dass die attische
Tragödie überhaupt eine politische Dimension hat. Die Pro-
1 Vgl. Sabine Föllinger: Aischylos. Meister der griechischen Tragödie, München 2009, S. 48–52.
2 Ebd., S. 48.
3 Vgl. – stellvertretend für viele – Manuela Glaab: Idee und Perspektiven der direkten Demokratie, in: Einsichten und Perspektiven, Themen-
heft 2/2013: Bürgerbeteiligung in Bayern, hg. von der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, S. 4–19, hier S. 5 ff.
blematik dieser Annahme enthüllt sich, wenn man sich klar
macht, dass die Dramen des Aischylos imRahmen der deut-
schen und der europäischen Bildungstradition Exponenten
der griechischen Klassik darstellen und damit ein zeitent-
hobenes Idealbild nicht nur des Griechentums, sondern des
Menschseins an sich repräsentieren, das den Blick auf die
In ihrer 2009 erschienenen Monographie über den griechischen Dramatiker Aischylos
konstatiert die Marburger Altphilologin Sabine Föllinger, dass die Frage nach der poli-
tischen Dimension der antiken Tragödie, wie sie sich im 5. Jahrhundert v. Chr. in
Athen entwickelt hat, praktisch seit ihrer Entstehungszeit virulent sei:
1
Schon der Ko-
mödiendichter Aristophanes lässt in seiner Komödie
Die Frösche
aus dem Jahr 405 v.
Chr. den Gott Dionysos sein Urteil über die beiden verstorbenen Dichter Aischylos
und Euripides auf das Kriterium stützen, welcher der bessere Lehrer der athenischen
Bürgerschaft gewesen war. Die sich in den folgenden 2400 Jahren entspinnende Dis-
kussion dreht sich daher v. a. um die Frage, ob die attische Tragödie nun „als Medium
religiöser oder politischer Belehrung“
2
zu verstehen ist. Diese Frage ist durchaus nicht
nur für die Altphilologie, sondern auch für den Historiker wie für den Politologen in-
teressant, stützen sich doch die politisch-kulturellen Traditionen unseres eigenen
Staatswesens oft auf die Verwurzelung in der attischen Demokratie.
3
Wie politisch ist
nun die antike Tragödie? Und was sagt uns das Werk eines antiken Dramatikers wie
Aischylos, dessen Werke die ältesten erhaltenen Zeugnisse dieser Gattung aus der
Früh- und Hochphase der attischen Demokratie darstellen, über uns selbst?
Aischylos und seinWerk
Aischylos, der Sohn des Euphorion, erlebte als junger
Mann mit der Ermordung des Hipparch und dem Sturz
des Hippias, der Söhne des Peisistratos, das Ende der
Tyrannis in Athen und die demokratischen Reformen
des Kleisthenes. Als Hoplit nahm er 490 v. Chr. an der
Schlacht bei Marathon gegen die Perser teil. Nach der
ZerstörungAthens im Jahre 480 v. Chr. war er auf einem
der griechischen Kriegsschiffe an der Seeschlacht von
Salamis beteiligt. Er unternahm mehrere Reisen nach
Sizilien, die erste vermutlich zwischen 472 und 468 v.
Chr. auf Einladung des dortigen Tyrannen Hieron von
Syrakus, und verfasste vermutlich in dessenAuftrag das
nicht erhaltene Festspiel
Die Frauen von Aitne
. Im Jahr
472 v. Chr. siegte er imTragödienagon im Rahmen der
Großen Dionysien erstmals mit einer Trilogie, zu der
auch die erhalteneTragödie
Die Perser
zählte. Insgesamt
konnte er bei den Dionysien 13 Siege mit Trilogien er-
ringen, von seinenWerken sind aber neben den Persern
nur sechs weitere erhalten, darunter nur eine vollstän-
dige Trilogie:
Die Sieben gegen Theben, Die Schutzfle-
henden
,
Die Orestie
(bestehend aus den Dramen
Aga-
memnon, Die Weihgussträgerinnen, Die Wohlmeinen-
den)
und
Der gefesselte Prometheus
. Aischylos starb
vermutlich 456 v. Chr. in Gela auf Sizilien. Der Legende
nach wurde er durch eine Schildkröte erschlagen, die
ein Greifvogel aus der Höhe fallen ließ. Seine Grabin-
schrift stellte zwar die Teilnahme an den Perserkriegen
in den Mittelpunkt, nicht aber sein erfolgreiches dichte-
risches Schaffen.
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