Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 56

Das antike Mosaik „Dionysos und Akme“ in Pafos auf Zypern zeigt den Gott mit einer Reihe von Attributen, die den tendenziell anar-
chischen Charakter des Dionysos-Kultes andeuten: Neben den Weinranken, die Dionysos als Herren der vegetativen Fruchtbarkeit
kenntlich machen, deuten die Weinreben seinen Hang zur Trunkenheit und zur rauschhaften Ekstase an, deren sexuelle Komponente
durch die weitgehend entblößte Akme dargestellt wird. Dem entspricht der Festkalender im antiken Attika: Während die den göttlichen
Phallos ehrenden Umzüge der ländlichen Dionysien deutlich die Fruchtbarkeit von Tier und Mensch beschwören, sind die Lenäen ein
Tanzfest, das vor allem von Frauen begangen wird, die die Mänaden, die rasenden Anhängerinnen des Gottes, nachahmen.
Foto: ullstein bild
Hackenberg
lungen, die im Innern das Gemeinsamkeitsgefühl des De-
mos stärkten und nach außen die Macht Athens deutlich
machten.“
9
Wie Meier richtig bemerkt, existierte im Athen
des fünften Jahrhunderts kein staatlicher Apparat, der per
se integrierend hätte wirken können, sondern die Bürger
waren der Staat. Deshalb kam einerseits der ständigen
Selbstvergewisserung eine besondere Bedeutung zu, ande-
rerseits war der Zusammenhalt des Ganzen aus der Mitte
und vor den Augen dieser Bürgerschaft je neu zu erzeugen.
10
Mehr noch:
Die Großen Dionysien
wurden im Laufe der
Herausbildung der Demokratie zu einem Forum, auf dem
sich die demokratische Ideologie ausprägen konnte.
Die
Großen Dionysien
fanden vom 9.–14. Elaphe-
bolion, also etwa Ende März statt, wenn die Schifffahrt in
der Ägäis wieder einsetzte. Dieses Merkmal wird, wenn-
9 Bernhard Zimmermann: Die griechische Tragödie,
2
München 1992, S. 15.
10 Vgl. Christian Meier: Die politische Kunst der griechischen Tragödie, München 1988, S. 58.
Aischylos als politischer Dramatiker und die Tragödie der Demokratie
Einsichten und Perspektiven 1 | 14
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gleich es ursprünglich bei der Einführung der Dionysien im
sechsten Jahrhundert noch keine Rolle gespielt haben wird,
im hochklassischen Athen des fünften Jahrhunderts große
Bedeutung gewinnen. Denn die politische Funktion der
GroßenDionysien
fand ihren Ausdruck nicht ausschließlich
in den Dramenaufführungen, auch wenn diese zeitlich den
größten Raum eingenommen und die meiste Aufmerksam-
keit auf sich gezogen haben werden. Wichtiger sind die Er-
eignisse, die sich im gefüllten Dionysostheater unmittelbar
vor Aufführungsbeginn vor aller Augen abspielten. Sie sind
es, die den politischen Charakter dieses Festes vor Augen
führen – nicht verschämt oder subtil verhohlen, sondern
eindrucksvoll und überzeugend: In seiner Biographie Ki-
mons beschreibt Plutarch eine Szene während der Großen
Dionysien des Jahres 468, die die Vermutung nahelegt, dass
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