Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 59

Aischylos als politischer Dramatiker und die Tragödie der Demokratie
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Offenbar wächst die Notwendigkeit von Orientierung,
Selbstvergewisserung und Neuverankerung des eigenen
Weltbildes mit der Demokratie.
Wie politisch (aktuell) ist Aischylos?
Wenn aber die Aufführungssituation es wahrscheinlich
macht, dass die Tragödien immer auch als politische Kom-
mentare zu verstehen sind, stellt sich die Frage, auf welcher
Ebene des politischen Diskurses die Dichter dabei ansetzen.
Bei einigen Werken sind die politischen Implikationen rela-
tiv offensichtlich, v. a. wenn das Aufführungsjahr relativ si-
cher ist, sodass ein Bezug auf die in diesem Jahr aktuelle po-
litische Großwetterlage möglich ist. Dies gilt z. B. für die
späten Werke des Euripides oder die
Perser
, außerdem für
solche, bei denen zumindest Details auf eine politische Stel-
lungnahme schließen lassen, z. B. der Schluss der
Eumeni-
den
mit der Entsühnung des Orest vor dem athenischen
Areopag. Andere Stücke, in denen solche Implikationen
nicht ausfindig gemacht werden konnten, wie die
Sieben ge-
gen Theben
des Aischylos oder der
Aias
des Sophokles, er-
fuhren dementsprechend lange keine politischen Deutun-
gen.
Derartige Interpretationen erfordern in der Regel
erstens eine bestimmte Vorannahme über politische Pro-
blemkonstellationen zumZeitpunkt der Erstaufführung, al-
so zweitens eine Annahme über die vermutliche Entste-
hungszeit des jeweiligen Dramas. Drittens wird meist die
Annahme zugrunde gelegt, dass der Dichter parteipolitische
Wirksamkeit erstrebte. Eine vierte Hypothese betrifft die
Arbeitsweise des Dramatikers, dass nämlich der im Drama
dargestellte Konflikt eine Allegorie auf die zugrunde geleg-
te politische Problemkonstellation sei. Ein Beispiel für eine
solche Vorgehensweise hat A. J. Podlecki 1966 in „The Po-
litical Background of Aeschylean Tragedy“ vorgelegt, in
dem er für Aischylos konsequent jede seiner erhaltenen Tra-
gödien auf die jeweilige tagespolitische Situation der Erst-
aufführung und auf eine unterstellte parteipolitische Wir-
kungsabsicht des Dichters bezogen hat. Abgesehen von der
unangenehm großen Zahl an notwendigen Vorannahmen
wirft dieses Vorgehen die Frage auf, inwieweit sich die In-
stitution der Tragödie dann noch von der Volksversamm-
Probenszene der Komödie „Die Ritter der Tafelrunde“ des DDR-Autors Christoph Hein im Kassler Staatstheater, 2. Februar 1990.
Die Komödie war am 12.04.1989 in der DDR uraufgeführt worden. Der Bezug zur DDR als „zukunftsloser Gsellschaft“ ist in dem
Drama, in dessen Zentrum die alt und funktionslos gewordenen Artusritter stehen, klar zu erkennen, auch wenn es konsequent auf der
Ebene des Mythos verbleibt.
Foto: picture-alliance / dpa
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