Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 64

Richtigkeit ihrer politischenOrdnung zu versichern. In die-
ses Bild fügt sich auch
Die Perser
, umso mehr, da es aus-
drücklich die Unterschiede zum persischen Gegner und die
Überlegenheit der isonomen Polis gegenüber der barbari-
schen Despotie herausstellt.
Das Motiv der nicht zu überschreitenden Erdteils-
grenzen hat aber noch eine weitere Implikation, die mit der
Imperialismus-Kritik zusammenhängt: Die einleuchtende
Erklärung für den Untergang des persischen Heeres moch-
te demPublikum zugleich als Warnung dienen, ähnliche hy-
bride Ambitionen zu hegen. Selbst wenn Petzold
29
nach-
weist, dass die Athener in der frühen Phase des Seebundes
keine Ambitionen hatten, eine Herrschaft über die Bundes-
genossen zu etablieren, und auch wenn es im Stück nicht
ausgesprochen wird: Christian Meier scheint es sicher, dass
sich aus dem durch das Stück implizierten und mit dem no-
mologischen Wissen der Athener ohne weiteres vereinba-
rem Weltbild, dass Hellas den Hellenen, Asien den Barba-
ren gehöre, und dass der, der sich gegen diese Weltordnung
vergehe, von den Göttern gestraft werde, die politische
Konsequenz ergebe, sich an die von diesemWeltbild vorge-
gebenen Grenzen zu halten, das Maß zu wahren. Auch im
Krieg gegen Persien, zumal das Unheil des Krieges im Dra-
ma erschreckend konkret wird.
30
Aufgrund ihrer besonderen Stellung als im weites-
ten Sinne „historisches“ Drama kommt
Die Perser
ab-
schließend noch eine weitere politisch-historische Bedeu-
tungsebene zu, die die mythischen Stücke nicht haben, näm-
lich die als Quelle für die Ereignisse bei der Schlacht von
Salamis. So wurde nicht nur wiederholt darauf aufmerksam
gemacht, dass es sich bei
Die Perser
um die älteste und da-
zu noch um eine primäre Quelle zumAblauf dieser Schlacht
handelt, sondern es wird dieser Darstellung heutzutage so-
gar im Vergleich zu Herodot die größere Glaubwürdigkeit
zugeschrieben.
31
Diese Ansicht ist natürlich insofern von
Grund auf problematisch, als es sich bei
Die Perser
ja um ei-
ne literarisch-fiktionale Darstellung handelt. Dass den
Per-
sern
dennoch eine sogar über die explizit historiographische
Darstellung Herodots hinausgehende Glaubwürdigkeit zu-
geschrieben wird, hat vor allem zwei Gründe: Erstens hat
zur Entstehungszeit der
Perser
noch überhaupt keine Dif-
ferenzierung zwischenHistoriographie undDichtung statt-
gefunden, bis dahin wurde Historie ausschließlich in Elegie
und Epos, also literarischen Gattungen, aufgearbeitet. Eine
29 Vgl. Karl-Erich Petzold: Die Gründung des Delisch-Attischen Seebundes, in: Historia 42 (1993), S. 418–443 u. Historia 43 (1994), S. 3–31.
30 Meier (wie Anm. 10), S. 92 f.
31 Als Beispiel sei genannt der Aufsatz von J. F. Lazenby: Aischylos and Salamis, in: Hermes 116 (1988), S. 168–185. Wobei Lazenby v. a. zu
beweisen versucht, dass die Unterschiede zwischen Herodots und Aischylos‘ Darstellung marginal sind, und daher in der Gegenüberstel-
lung ein glaubwürdiges und differenziertes Bild der Geschehnisse bieten.
32 Vgl. Kierdorf (wie Anm. 23), S. 79.
33 Ebd., S. 75 ff.
34 Ebd., S. 78. Ebenso: Lutz Lenz: Zu Dramaturgie und Tragik in den Persern, in: Gymnasium 93 (1986), S. 141–163, hier S. 160.
Aischylos als politischer Dramatiker und die Tragödie der Demokratie
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solche Differenzierung findet frühestens mit Herodot statt,
und selbst dieser schaltet das fiktionale Element noch nicht
vollständig aus, wiewohl er sich ausdrücklich um Objekti-
vität bemüht. Zweitens, und vielleicht noch wichtiger, be-
weist Kierdorf, dass sich Aischylos darum bemüht, die his-
torischen Ereignisse wahrheitsgemäß zu schildern, immer-
hin bringt er seine Interpretation der Ereignisse einem
Publikum zu Gesicht und Gehör, das die Schlacht großen-
teils selbst miterlebt hat. Daher habe Aischylos sich an die
historischen Fakten halten müssen, und sich einzig bemüht,
den historischen Stoff so zu drapieren, dass er den struktu-
rellen Anforderungen einer Tragödie (so z. B., wenn er Xer-
xes nicht selber auftreten lässt, sondern durch einen drama-
tischen Stellvertreter ersetzt, s. o.) und seiner ethisch-reli-
giösen Weltdeutung entspricht (z. B. wenn er behauptet,
Dareios habe den Halys nie überschritten, s. o.).
32
Weil Ai-
schylos eben die erlebte Realität mit Rücksicht auf sein Pu-
blikumnicht einfach ändern konnte, begegnet uns z. B. auch
Xerxes als schwacher Herrscher, obwohl das Stück eigent-
lich einen starken tragischen Helden gebraucht hätte.
33
Zwar ist der schwache Xerxes in seiner Zeichnung als jun-
ger, ehrgeiziger Herrscher, der dem Erbe seines großen Va-
ters gerecht zu werden versucht, Vertreter eines dramati-
schen Typus, zwar ist durch die Spiegelung dieses Typus mit
der Figur des starken Dareios den dramatischen Erforder-
nissen Genüge getan, der Grund für die Schwäche des Xer-
xes ist aber nicht dramatische Notwendigkeit, sondern ein
spezifisches historisches Bild, das die Griechen von Xerxes
hatten: der Epigone, der hinter seinen großen Vorfahren zu-
rückbleibt.
34
Aischylos habe also von seiner fiktionalen Lizenz
nur Gebrauch gemacht, wenn künstlerische Notwendigkeit
und nomologisches Wissen es erforderten. Es darf ergänzt
werden: und wenn seine politische Aussage es erforderte.
Prometheus Desmotes
Der
Prometheus Desmotes
, der
gefesselte Prometheus
, ist
vermutlich das erste Stück einer Trilogie, an das sich die nur
bruchstückhaft erhaltenen Tragödien
Prometheus Lyome-
nos
(„Der befreite Prometheus“) und
Prometheus Pyrpho-
ros
(„Feuerträger Prometheus“) anschlossen, die als Inhalts-
trilogie das Schicksal des auf Zeus’ Befehl an den Kaukasus
geschmiedeten Titanen undMenschenfreundes thematisier-
1...,54,55,56,57,58,59,60,61,62,63 65,66,67,68,69,70,71,72,73,74,...76
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