nicht immer, aber häufig - im Athen der Aufführungszeit
der jeweiligen Komödie angesiedelt, ihre Figuren sind ent-
weder leicht durchschaubare Allegorien auf oder gar Kari-
katuren von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens im
Athen der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts. Wenn
sich in der Komödie Handlung auf der mythischen Ebene
abspielt, z. B. in den
Fröschen
, dann ist auch diese gespickt
mit satirischen Anspielungen auf tagespolitische Fragen
und die mythische Handlung ist nicht in eine mythische
Vorzeit entrückt: Der Gott Dionysos begibt sich im Rah-
men der Aufführung der Komödie
Die Frösche
im Jahre 405
in den Hades, um seinen jüngst verstorbenen Lieblings-
dichter Euripides wieder ins Leben zurückzurufen.
Der tagespolitische Bezug der Komödie spricht
sich also unverhohlen aus. Die Tragödie scheint derartige
Bezüge durch ihr Ausweichen in die ferne Vergangenheit
des Mythos hingegen geradezu zu meiden. Dennoch weisen
sowohl diverse Details in Sprache, Komposition und Hand-
lung fast aller Dramen darauf hin, dass auch die Tragödien
nicht nur als zweckfreie Kunstprodukte und allgemein-
menschliche Exempel verstanden werden sollten, die darum
die Sprache des Mythos wählen, sondern vielmehr in dieser
Sprache politische Aussagen machen. Eine derartige Inter-
pretation legen auch Parallelen zum kaiserzeitlichen Rom
nahe: Hier vergewisserte sich die politische Opposition –
verkleidet in der Sprache des griechischen Mythos und in
der Form der griechischen Tragödie – ihrer oppositionellen
Haltung. Will man hier eine Analogie zwischen römischer
und griechischer Tragödie sehen, dann macht sie die An-
nahme einer politischen Wirkungsabsicht auch für die grie-
chische Tragödie plausibel. Hinsichtlich solcher Analogie-
schlüsse ist freilich Vorsicht geboten: Anders als die römi-
schen waren die griechischen Dramatiker ausdrücklich zu
politischer Stellungnahme aufgefordert. Der festliche An-
lass der Aufführungen, der Tragödienwettbewerb im Rah-
men der
Großen Dionysien
im Frühling jeden Jahres, war
eine gesellschaftspolitische Institution erster Kategorie. Der
griechische Tragödiendichter musste also mit seinen politi-
schen Botschaften anders als der römische nicht hinter dem
Berg halten.
Die
Großen Dionysien
als politisches Forum
der athenischen Gesellschaft
Die Tragödien des Aischylos müssen vor dem Hintergrund
ihrer Gebundenheit an ihre Aufführungssituation betrach-
tet werden, wenn wir ermessen wollen, welche Wirkung sie
auf ihr Publikum gehabt haben könnten. Natürlich ist die
historische Aufführungssituation für jedes Drama unter-
schiedlich, der institutionelle Rahmen allerdings, in dem die
Dramen zur Aufführung kamen, ist zumindest für Aischy-
Aischylos als politischer Dramatiker und die Tragödie der Demokratie
Einsichten und Perspektiven 1 | 14
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Zeitgebundenheit der attischen Tragödie eher verstellt. Des-
halb fällt es mitunter schwer, sich vorzustellen, dass z. B. die
Orestie
für ihr Publikum im fünften Jahrhundert eine nur
aus dem zeithistorischen Kontext verständliche politische
Aussage darstellte. Deren allgemein-menschliche Dimen-
sion rückte erst im Zuge einer zweitausendvierhundert-
jährigen Loslösung der Tragödie aus ihrem historischen
Aufführungskontext so in den Vordergrund, dass die offen-
sichtlichsten Anspielungen auf zeithistorische Konstellatio-
nen dem heutigen Leser wie Fremdkörper erscheinen. Die-
se Einsicht fällt uns auch deshalb schwer, weil der Stoff der
attischen Tragödie fast immer der Mythos und nur in den
seltensten Fällen eine reale historische Situation ist, zumin-
dest so weit sich das anhand der wenigen erhaltenen Tragö-
dien beurteilen lässt; die einzige Ausnahme bilden
Die Per-
ser
des Aischylos.
Natürlich ist diese Unterscheidung denkbar un-
scharf, da die Griechen ihreMythen durchaus als nicht mehr
erlebte und darumnicht mehr überprüfbare, aber nichtsdes-
totrotz reale historische Vergangenheit auffassten. Die Un-
terscheidung wird allerdings deutlicher bei einem Vergleich
mit den Komödien des Aristophanes, die die einzigen er-
haltenen attischen Komödien darstellen: DieseWerke sind –
Antike Büste des Aischylos
Foto: ullstein-bild
