Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 61

Aischylos als politischer Dramatiker und die Tragödie der Demokratie
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18 Die Frage, ob es sich bei der betreffenden Trilogie nicht möglicherweise doch um eine Inhaltstrilogie handele, diskutiert (skeptisch) z. B.
Albin Lesky: Die tragische Dichtung der Hellenen,
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Göttingen 1972, S. 88.
v. a. eine kultische Veranstaltung waren, erscheint es als ei-
ne Überfrachtung der Tragödie, ihr diese Aufgabe zuzu-
sprechen. Sie ist vielmehr, vergleichbar mit heutigen Me-
dien, Schrittmacher der demokratischen Emanzipation,
weil sie den um 500 v. Chr. politisch noch weitgehend un-
erfahrenen Hopliten-Polites die zu entscheidenden Fragen
in einer Sprache begreiflich macht, die sie kennen und ver-
stehen, was in der Volksversammlung vermutlich nicht im-
mer der Fall gewesen sein wird, wenn die meist adligen
Sprecher in wohlgesetzten Worten zu rhetorischen Höhen-
flügen abhoben. Dergestalt gibt sie den Athenern erst die
Möglichkeit, von ihrer politischen Selbstverantwortlichkeit
Gebrauch zu machen.
Im Folgenden soll auf der Grundlage dieser These
anhand der Interpretation eines Dramas aus der Frühphase
sowie aus der Spätphase von Aischylos‘ Schaffen exempla-
risch die Frage angerissen werden, ob diese tatsächlich eine
demokratische Emanzipation der Bürger getragen haben
können, ob sie sich also an ein zunehmend mündiger wer-
dendes Publikum richten, ob der Gestus sich zu einer deut-
licheren Aussprache des Politischen hin ändert, und vor al-
lem inwieweit sich die diskutierten Problemfelder wandeln.
Die Perser
Das vermutlich älteste erhaltene aischyleische Drama bildet
einen Ausnahmefall im Schaffen des Dichters in mehrerlei
Hinsicht: Erstens ist
Die Perser
das einzige erhaltene Dra-
ma des Dichters, das (vermutlich) nicht einer Inhaltstrilogie
angehört,
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sondern – bei allenfalls losem thematischemVer-
bund mit den anderen Stücken der Trilogie – relativ eigen-
ständig ist, weshalb der Ausblick auf den
Phineus
und den
Glaukos
(deren Namen uns, ebenso wie der des Satyrspiels
Prometheus Pyrkaeus
aus der
Hypothesis
des Stückes im
Mediceus Codex bekannt sind) vernachlässigbar ist. Es sei
nur gesagt, dass sich vermutlich beide Stücke wie
Die Per-
ser
mit dem Gegensatz zwischen Asien und Europa ausein-
andersetzen, und hervorgehoben, dass es sich wohl im Ge-
gensatz zu
Die Perser
um Tragödien mit mythischen Inhal-
ten handelt.
Überhaupt behandeln zweitens
Die Perser
als eine
von nur drei überhaupt namentlich bekannten und als ein-
zig erhaltene Tragödie kein im engeren Sinne mythisches
Thema, sondern ein zeithistorisches, nämlich die unerwar-
tet katastrophale Niederlage der zahlenmäßig weit überle-
genen phönizisch-persischen Flotte in der Seeschlacht von
Salamis.
Die dritte Besonderheit der
Perser
: Das Stück ist
selbst Produkt einer konkreten historisch-politischen Aus-
nahmesituation, nämlich der Hochphase der Perserkriege
mit ihrer Ouvertüre bei Marathon 490 und dem Crescendo
bei Salamis und Plataiai 480/79. ImKern dieser Betrachtung
über die politische Dimension der aischyleischen Dramen
steht die Frage, ob die jeweilige historisch-politische Situa-
tion, in der die einzelnen Dramen entstanden, sich in diesen
in irgendeiner Form widerspiegelt. Diese Frage ist bei fast
allen Dramen des Aischylos äußerst diffizil. Im Falle der
Perser
jedoch liegt der Fall klar, hier wird die aktuelle his-
torisch-politische Situation selbst Thema. Mehr noch: In
Anbetracht der Tatsache, dass auch die beiden anderen
„zeithistorischen“ Dramen
Miletu Halosis
und
Phoinissai
auf die Perserkriege Bezug nehmen, liegt die Vermutung na-
Kimon, Ephialtes, Perikles und die Reform von 462/61
Kimon, wie Perikles aus einem einflussreichen Adels-
geschlecht stammend, war der Konkurrent des Perikles
während der politischen Weichenstellungen in Athen
zwischen 480 und 450 v. Chr.Während Kimon eine dezi-
diert auf einen Ausgleich mit Sparta bedachte Außen-
politik vertrat und die auf eine Ausweitung der Demo-
kratie zielenden Reformen des Ephialtes von 462/61 be-
kämpfte, betrieb Perikles ausdrücklich eine gegen
Sparta gerichtete attische Hegemonialpolitik, die in den
Peloponnesischen Krieg mit Sparta münden sollte. Die
Durchsetzung dieses neuen Kurses in der Außenpolitik
stützte sich innenpolitisch auf die von Perikles und Ephi-
altes propagierte Entmachtung des Areopag zugunsten
der Volksversammlung. Damit handelte es sich um eine
logische Konsequenz der vonThemistokles in den 480er
Jahren begonnenen Flottenpolitik: Bis 462/61 war der
Areopag, zu dem ausschließlich der Adel Zugang hatte,
das höchste Staatsorgan mit der Oberaufsicht über die
Gesetze gewesen. Die Aufwertung der Theten, deren
Körperkraft als Ruderer auf den attischen Kriegsschiffen
die machtpolitische Expansion Athens ab Salamis im
Wesentlichen getragen hatte, machte es plausibel, die-
ser Aufwertung auch politisch Rechnung zu tragen. Die
Reformen des Ephialtes übertrugen dementsprechend
die Kontrollfunktion des Areopag auf die Volksver-
sammlung und den Rat der 500. Der Areopag wurde al-
lerdings nicht aufgelöst, ihm verblieb die Blutgerichts-
barkeit.
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