Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 62

he, dass es gerade diese historisch-politische Ausnahmesi-
tuation der Bedrohung durch die Perser war, die diese klei-
ne Gruppe von Zeitgeschichte thematisierenden Dramen
erst hervorgebracht hat, wie sie übrigens auch mit Herodot
den ersten echten Historiographen hervorgebracht hat.
Als vierte Besonderheit verströmt das Stück – wie
bereits festgestellt – gerade ob der genannten Auffälligkei-
ten gleichsam den Duft einer konkreten politischen Aussa-
ge, deren einziger Makel darin besteht, dass es den Histori-
kern schwerfällt zu beurteilen, um welche es sich handelt.
Sicher liegt eine Deutung des Stückes als Feier des Sieges
und als Versuch einer theologischen Erklärung des gegen al-
le Wahrscheinlichkeit erfolgreichen Widerstandes gegen die
persische Übermacht nahe. Diese Bedeutungsschichten hat
das Stück zweifellos. Die Forschungsmeinungen beginnen
dann auseinanderzudriften, wenn versucht wird, das Stück
noch konsequenter in seine Entstehungssituation einzuord-
nen, also nicht die Situation von 480, die das Stück thema-
tisiert, sondern die von 472, in der es zur Aufführung ge-
langt. Letztlich ist die damit aufgeworfene Frage, ob Ai-
schylos nun ein Parteigänger des Themistokles und ein
Unterstützer von dessen Flottenpolitik oder aber das Ge-
genteil war,
Die Perser
also als Hommage an oder als flam-
mende Anklage gegen Themistokles zu verstehen sind,
nicht beantwortbar.
19
Deutlich wird letztlich nur, wie pro-
blematisch Interpretationen sind, die auf die Zuschreibung
einer parteipolitischen Wirkungsabsicht abzielen. Sympto-
matisch ist daher z. B. Walter Nicolais Skepsis, ob Aischy-
los überhaupt derartig polarisierende tagespolitische Aus-
sagen angestrebt habe, ob es nicht vielmehr darum gehe,
durch Memorierung des Sieges das patriotische Gemein-
schaftsgefühl speziell der athenischen Bürgerschaft zu stär-
ken.
20
Wenn man davon ausgeht, dass
Die Perser
kein
Tendenzdrama im Sinne einer parteipolitischen Stellung-
nahme ist, weil der Dichter - hätte er das wirklich gewollt -
diese Tendenz deutlicher gemacht hätte, das Stück aber
gleichwohl aufgrund der Orientierungsfunktion der Tragö-
die eine politische Aussage hat, worin besteht dann diese?
Das Drama thematisiert den großen, für die Athener kaum
fassbaren Sieg über die Perser, logischerweise aus persischer
Sicht, weil sich aus Sicht der Griechen keine Tragödie erge-
ben hätte, immerhin basiert die Gattung ursprünglich auf
der chorischen Klage um einen toten Helden (weshalb auch
19 „Ultimately, of course, the question of wether or not the play was intended, interpreted, or effective as a political message of support for
Themistocles or Aristides is [...] quite incapable of proof.” Thomas Harrison: The Emptiness of Asia, London 2000, S. 98.
20 Vgl. Walter Nicolai: Aischylos‘ Perser, in: Aspekte des Geschichtsdramas, hg. v. W. Düsing. Tübingen 1998, S. 11–30, hier S. 23 f.
21 Vgl. Gustav Adolf Seeck: Die griechische Tragödie, Stuttgart 2000, S. 27–38.
22 So auch Humphrey Davey Findley Kitto: Greek Tragedy,
3
London 1961, S. 37–45.
23 Die Kritik entzündet sich meist an Vers 865 f. Abgesehen davon, dass Dareios durchaus gegen Griechenland rüstete und keineswegs als Bei-
spiel maßvoller Selbstbescheidung geeignet ist, ignoriert dieser Vers den gescheiterten Skythenfeldzug des Dareios. Vgl. Wilhelm Kierdorf:
Erlebnis und Darstellung der Perserkriege, Göttingen 1966, S. 60 ff.
24 Vgl. ebd., S. 79 f.
Aischylos als politischer Dramatiker und die Tragödie der Demokratie
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der Trauergesang ein so zentrales Element der Tragödie dar-
stellt).
21
Auch wurde bereits betont, dass ein derart gegen al-
leWahrscheinlichkeit errungener Sieg den Versuch einer Er-
klärung herausfordert. Eine solche Erklärung bemüht sich
Aischylos zu geben, indem er den Sieg in das archaisch-
mythische Weltbild seiner Mitbürger, das auch sein eigenes
ist, einpasst. Hierzu bemüht er eine Reihe von
Topoi
, von
konventionellen und den Griechen unmittelbar verständli-
chen Erklärungsmustern:
Da ist zum Einen die Vorstellung von der Nieder-
lage der Perser als Folge der
Hybris
ihres Großkönigs. Hier-
in wird auch ersichtlich, warum nur die Gestaltung als per-
sische Tragödie Sinn ergibt: Es handelt sich weniger um ei-
nen Sieg der Griechen, als um eine Niederlage der Perser, die
auf diese Weise von den Göttern gestraft werden. Xerxes ist
der tragische Held des Dramas,
22
dessen
Hybris
zu seinem
Sturz führt. Deswegen ist er schwach gezeichnet, daraus re-
sultiert auch die mitunter die Grenzen der historischen Rea-
lität überschreitende Idealisierung seines Vaters Dareios,
23
der die Folie für die Selbstüberhebung seines Sohnes dar-
stellt. Daraus resultiert auch die Gestaltung seiner Mutter
Atossa, deren Funktion die einer dramatischen Stellvertre-
terin für den abwesenden Xerxes ist und die dazu dient, den
tragischen Helden trotz seiner Abwesenheit auf der Bühne
präsent zu halten.
24
Die
Hybris
des Xerxes findet ihren Ausdruck im
Motiv der Unterjochung des als Gott verstandenen Helles-
pont durch Schiffsbrücken, über die das persische Heer
transportiert wird. Mit Sicherheit hat die historisch ver-
bürgte Tatsache der Überbrückung des Hellespont in ganz
Griechenland Aufsehen erregt und war demPublikumnoch
gut im Gedächtnis, vor allem aber erfordert eine
Hybris
ei-
nen Frevel an den Göttern. Dieser Anspruch des
Topos
wird
hier befriedigt. Die
Hybris
, hervorgerufen durch den bösen
Daimon
, führt zu
Ate
, der Verblendung, die die strafens-
werte Tat bedingt, in diesem Fall die Überbrückung des
Hellespont. Die
Hybris
ist generell entweder Strafe für
Überheblichkeit, Gier, Maßlosigkeit etc., oder sie ist Pro-
dukt des Neides der Götter (vgl. V. 362).
Womit ein letzter zentraler
Topos
angesprochen ist:
Die Vorstellung vom Neid der Götter dient dazu, zu erklä-
ren, warum Menschen von der Höhe ihrer Macht und ihres
Ruhmes herabstürzen, wie es Xerxes geschieht. Die Götter
verhindern, dass die Bäume in den Himmel wachsen, also
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