Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 58

15 Belegt ebenfalls durch Isokrates, De Pace, 82.
16 Vgl. Moses I. Finley: Economy and Society in Ancient Greece, London 1981, S. 77–94.
17 Goldhill (wie Anm. 14), S. 67. Mario Rausch verweist sogar auf das Fragment einer in Hephaistia auf Lemnos gefundenen Stele, das die Na-
men von fünf athenischen Bürgern aus der Phyle Hippothontis verzeichnet und vermutlich aus dem Jahr 498 datiert, in dem möglicherwei-
se eine athenische Militäraktion auf Lemnos stattfand. Vgl. Mario Rausch: Isonomia in Athen. Veränderungen des öffentlichen Lebens vom
Sturz der Tyrannis bis zur zweiten Perserabwehr, Frankfurt am Main 1999, S. 224 f.
Aischylos als politischer Dramatiker und die Tragödie der Demokratie
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jungen Männer wurden dem Publikum vorgeführt und be-
kamen Ehrenplätze angewiesen.
15
Es geht dabei vermutlich
weniger darum, den herausragenden Bürger für seine Leis-
tungen zu belohnen oder durch die Vielzahl der Waisen den
anderen Hellenen den Einsatz Athens für die gemeinsame
Sache zu verdeutlichen, sondern vor allem darum, die de-
mokratische Polis zu feiern, die Bürgerschaft selbst, die
diese Ehrungen spendet, und die sich an Vaters statt der
Waisen annimmt. Dadurch wird der Einsatzwille für die
Demokratie und die Polis bestärkt und die traditionelle
Spannung zwischen
Genos
(oder
Oikos
) und
Polis
, also
zwischen familiärer und bürgerlicher Bindung, zugunsten
der Polis aufgehoben. In der Tat ist es wesentlicher Be-
standteil demokratischer Ideologie, in die familiären Bin-
dungssysteme einzudringen und sie zu überlagern, zu er-
setzen oder zu sublimieren,
16
schon allein, um die besonders
auf ihre Herkunft bedachten Eupatriden, also die Adelsfa-
milien Attikas, in den homogenen Körper der Bürgerschaft
integrieren zu können. „
Fighting,
leiturgia,
jury duty, and
the other appurtenances of direct democracy can all be seen
as a possible challenge to the economic and generational con-
tinuity of the
oikos.“
17
Dieses Eindringen wird augenfällig,
wenn die Waisenerziehung als öffentliche Angelegenheit
dargestellt wird, sie zeigt sich aber auch z. B. in den
Sieben
gegen Theben
des Aischylos, wo Polyneikes eindeutig da-
für verurteilt wird, dass er die Hand gegen seine Vaterstadt
erhebt, wo die Polis sich letztlich sogar als stärker
erweist als der Genos. Es wird also in den „Vorspiel“-Ele-
menten eine explizit auf die Polis bezogene Ideologie pro-
pagiert, die die Basis für das demokratische Selbstverständ-
nis der Bürgerschaft darstellt.
Es lässt sich also sagen, dass die
Großen Dionysien
eine politische Funktion zur Darstellung nach außen und
zur ideologischen Gleichrichtung nach innen hatte, die sich
im selben Maße verstärkte, wie die Demokratie an Fahrt ge-
wann. Es ist in der Tat so, dass sich die Tragödie mitunter
kritisch mit der Polis auseinandersetzt, weil offensichtlich
die ganze Bürgerschaft einer solchenKritik bedurfte. Vor al-
lem aber geht es darum, dass in den Tragödien das Welt- und
Selbstbild der Athener mit derWirklichkeit Schritt hält. Das
erklärt auch, dass sich im Laufe des fünften Jahrhunderts
mit der wachsenden politisch-militärischen Aktivität auch
die Feste vermehren, bzw. Tragödienwettbewerbe auch in
die
Lenäen
oder die
ländlichen Dionysien
Einzug halten:
Die Perserkriege und der attische Seebund
Nachdem sich dem gescheiterten Aufstand der ioni-
schen Griechen gegen die persische Oberherrschaft
auch 20 attische und fünf eretreische Kriegsschiffe an-
geschlossen hatten, beauftragte der persische Großkö-
nig Dareios seinen Feldherren Datis mit der Durchfüh-
rung einer Strafexpedition gegen Athen und Eretreia,
die beide die Übersendung von Erde und Wasser als
Zeichen der Unterwerfung abgelehnt hatten (wie auch
die Poleis des Peloponnesischen Bundes um Sparta). In
der Schlacht von Marathon 490 v. Chr. gelang es den at-
tischen Hopliten (schwer gerüstete Bürgerkrieger) unter
Führung des Miltiades das vergleichsweise kleine per-
sische Invasionsheer bereits bei der Landung in Attika
zu schlagen und die Bedrohung für das griechische
Kernland so auf Jahre hinauszuzögern. Nach demTod
des Dareios 486 intensivierte dessen Sohn Xerxes die
Rüstungen für einen erneuten Feldzug. In Athen setzte
derweil Themistokles seine Pläne für den Aufbau einer
starken Kriegsflotte um und brach damit mit der bis da-
hin erfolgreichen Strategie einerVerteidigung zu Lande.
Der Erfolg dieses Vorgehens zeigte sich in der See-
schlacht von Salamis 480, in der die Flotte der griechi-
schen Verbündeten unter attischer Führung die per-
sisch-phönizische Flotte völlig vernichtet. Durch den
spartanischen Sieg in der Landschlacht von Plataiai war
die unmittelbare Bedrohung des griechischen Mutter-
landes abgewendet und v. a. Sparta suchte nachWegen
zur Beendigung des Konflikts. Athen gelang es aller-
dings durch dasArgument einer weiter anhaltenden Be-
drohung durch die Perser eine ganze Reihe vonVerbün-
deten zur Bildung einesVerteidigungsbündnisses zu be-
wegen, dem delisch-attischen Seebund. In diesem
Seebund war Athen nach der Absage Spartas die mit
Abstand einflussreichste Macht und baute den Seebund
in der Folge, auch nach dem Kalliasfrieden mit dem Per-
serreich von 449/48, zu einem auf die hegemonialen Be-
strebungen Athens ausgerichteten Herrschaftsinstru-
ment aus.
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