Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 65

Aischylos als politischer Dramatiker und die Tragödie der Demokratie
Einsichten und Perspektiven 1 | 14
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Die Schauspieler Alexander
Moissi und Anne Marie Loose
in Max Reinhardts Inszenie-
rung des Prometheus Desmo-
tes am Deutsches Theater
1924
Foto: ullstein-bild – John Graudenz
te und derart einen Ursprungsmythos für die in Athen mit
einem Fackellauf begangene Prometheus-Kult-Feier bot.
Formal gibt es also auf den ersten Blick wenig, was unsere
Aufmerksamkeit wecken müsste, nichtsdestotrotz hat die
Altphilologie mehr noch als für die
Perser
eine Fülle an Be-
sonderheiten konstatiert, die den
Prometheus Desmotes
von
den anderen Dramen des Aischylos unterscheiden (ange-
fangen bei der offensichtlichen Tatsache, dass die handeln-
den Figuren fast ausschließlich Götter sind). Am meisten
überrascht die im Vergleich zu den anderen erhaltenen Stü-
cken vollkommen untypische Zeichnung des Gerechtig-
keitsgottes Zeus als tyrannischem Willkürherrscher, vor al-
lemweil sie fundamental demWelt- und Gottesbild der hier
nicht näher beleuchteten
Orestie
zu widersprechen scheint.
Dennoch gelingt es Christian Meier nicht nur, das Stück
bzw. die gesamte Trilogie auf dieselbe Problematik zu be-
ziehen wie die
Orestie
und in dasselbe Weltbild einzupas-
sen, sondern die
Promethie
sogar zum Höhepunkt und
Schlussstein im dramatischen Werk des Aischylos zu stili-
sieren:
1. Führt die Herrschaft des Zeus in der
Orestie
einen ge-
rechten (oder zumindest kompensatorischen) Ausgleich
zwischen alten und jungen Göttern herbei, indem sie (in der
Gestalt Athenes, der „Kopfgeburt“ des Zeus) die Einsicht
in die Notwendigkeit und Ehrwürdigkeit des Alten de-
monstriert, so stellt die
Promethie
die tiefer gehende Frage,
wie die Ordnung des Göttervaters überhaupt die gerechte
Ordnung der
Orestie
werden konnte, wie Zeus selber zur
Einsicht in die Notwendigkeit des Maßhaltens gekommen
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