Einsichten und Perspektiven 1|15 - page 23

Die Gedenkstätte ROTER OCHSE Halle (Saale)
Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sach-
sen, Sachsen-Anhalt und Thüringen und machten stattdes-
sen 14 Bezirken Platz, deren jeder auch eine eigene Bezirks-
verwaltung (BV) des MfS erhielt. Für die Bedürfnisse des
MfS war der „Rote Ochse“ in Bezug auf Fläche und Ein-
wohnerzahl des neu entstandenen Bezirks Halle schlicht zu
groß. Der zweite Teil des Anstaltsgeländes entwickelte sich
deshalb bald zu einer der größten Frauenstrafvollzugsein-
richtungen der DDR. Daneben befand sich hier noch ein
Strafgefangenenarbeitskommando, dessen Angehörige un-
ter anderem den MfS-Fahrzeugpark mitzubetreuen sowie
eine Anstaltsgärtnerei und verschiedene andere, dem MfS
untergeordnete Arbeitsbereiche, zu bewirtschaften hatten.
Beide Anstaltsbereiche – Frauenstrafvollzug und MfS-Un-
tersuchungshaftanstalt (UHA) – wurden Mitte der 1950er
Jahre durch eine Mauer getrennt. Die Lösung beider Berei-
che vervollkommneten die Stasi-Verantwortlichen auch da-
durch, dass selbst die Verbindungsbrücke zwischen dem
von ihnen benutzten Hafthaus A und der ehemaligen An-
staltskirche abgerissen und die Durchgänge vermauert wur-
den. Das Kircheninventar war bereits 1953 herausgerissen
und entfernt, die Kirche zu einem gesichtslosen Versamm-
lungsraum umfunktioniert worden.
Im „MfS-Objekt Am Kirchtor“, wie der Stasi-Be-
reich der Anstalt dienstintern bezeichnet wurde, befanden
sich in den folgenden Jahrzehnten eine ganze Reihe der
mehr als 20 Abteilungen und unterstellte Bereiche der MfS-
BV. Die detaillierte Nutzungsabfolge in den einzelnen Jahr-
zehnten gilt es noch zu erforschen, standen der Stasi doch
spätestens seit dem Bezug der neuen Bezirksverwaltung am
Wenige Monate nach Gründung der Deutschen Demokra-
Gimritzer Damm (Halle-Neustadt) im Jahr 1971 umfassen-
tischen Republik schuf diese im Februar 1950 mit dem
dere „Arbeitsmöglichkeiten“ zur Verfügung. Im „Roten
Ministerium für Staatssicherheit (MfS) ihre eigene politische
Ochsen“ verblieben vier Bereiche. Das Hafthaus A, wäh-
Polizei, die gleichzeitig die Position einer juristischen
rend der NS-Diktatur u.a. mit einer besonderen Untersu-
Strafverfolgungs- und de-facto-Anklagebehörde einnahm.
chungshaftabteilung für ausgewählte, vorwiegend politi-
Bereits im Herbst 1950 – die Sowjets nutzten den „Roten
sche Gefangene und ab 1943 mit Todeszellen ausgestattet,
Ochsen“ noch selbst – erhielt das MfS Haft- und Verneh-
verblieb in den Händen der Abteilung IX (Untersuchungs-
merräume zur Verfügung gestellt. Sowjetische Verhör-
haftvollzug). Die Vernehmungen lagen in der Verantwor-
spezialisten fungierten als Vor- und Ausbilder; von ihnen
tung der in die oberen Etagen des ehemaligen NS-Hinrich-
übernahmen Stasioffiziere ihr Instrumentarium und ihr
tungsgebäudes eingezogenen Abteilung XIV (Untersu-
Verständnis einer sozialistischen Rechtskultur. Nachdem
chungen, Ermittlungsverfahren). Daneben nutzten auch die
die Besatzungsmacht die politische Strafverfolgung mehr
Abteilung VIII (Beobachtung, Ermittlung) sowie die Ar-
und mehr in die Hände von MfS und sich entwickelnder
beitsgruppe XXII (Terrorabwehr) die Gebäude des Kom-
Rechtssprechung ostdeutscher Gerichte übertragen hatte,
plexes. Das „Vernehmergebäude“ war zugleichWirtschafts-
manifestierte sich dieser Prozess auch in der vollständigen
gebäude: Die Trennwände der auch hier vorhandenen ehe-
Übergabe der Haftanstalt an die DDR-Behörden. Dieser
maligen Todeszellen im Keller des Hauses wurden entfernt,
Vorgang ist zu großen Teilen im Jahr 1952 vollzogen wor-
die nun entstandenen größeren Räume als Gefangenenkü-
den. Dass die Stasi den „Roten Ochsen“ in den Folgejahren
che nebst Kartoffelschälanlage und Geschirrspüleinrich-
nicht allein nutzte, sondern mehr als die Hälfte der Fläche
tung genutzt. Der ehemalige Hinrichtungsraum wurde zu
sowie drei der vier Hafthäuser demMinisterium des Innern
einer Gefängniswäscherei, wobei das 1942 eingebaute Gul-
(MdI) der DDR überließ, hatte zwei Gründe. Im Zuge einer
lysystem gute Dienste bei der Ableitung der Seifenlaugen
großangelegten Verwaltungsreform verschwanden die fünf
leistete.
Einsichten und Perspektiven 1 | 15
23
Gefangene vor dem Flügel B-D, Aufnahme vor 1945
Foto: Sammlung Gedenkstätte ROTER OCHSE Halle (Saale)
tungsorte
verweigern – oder bei Haftstrafe, die in einem
Zwangsarbeitslager zu verbüßen war, Abtransport des Ver-
urteilten in Speziallager. Der Verbleib der meisten Opfer
dieser Zeit ist ungeklärt. Zahlreiche Verurteilte sind nach
1990 von der Russischen Militärhauptstaatsanwaltschaft in
Moskau rehabilitiert worden. Den während der Internie-
rung ums Leben Gekommenen bleibt eine solche juristische
Anerkennung ihrer Unschuld verwehrt.
Nutzung durch das Ministerium für Staats-
sicherheit der DDR
1...,13,14,15,16,17,18,19,20,21,22 24,25,26,27,28,29,30,31,32,33,...80
Powered by FlippingBook