Einsichten und Perspektiven 1|15 - page 21

Die Gedenkstätte ROTER OCHSE Halle (Saale)
Ansicht der Straf-Anstalt bei
Halle, Kupferstich von 1845
Abbildung: Stadtarchiv Halle
den sich jedoch auch in Handwerksbetrieben sowie in der
Im „Roten Ochsen“ fanden die Amerikaner neben vielen
Landwirtschaft. Im letzten Kriegsjahr – so lassen es einzelne
männlichen Insassen auch Frauen vor, die seit der bei einem
Dokumente erkennen – ging die Zahl der Außenkomman-
Luftangriff am 31. März 1945 erfolgten Zerstörung des hal-
dos zurück. Stattdessen mussten Gefangenengruppen aus-
leschen Frauengefängnisses „Kleine Steinstraße“ ebenfalls
rücken, um nach Luftangriffen Tote und Verletzte zu ber-
im Männer-Zuchthaus untergebracht wurden. Amerikani-
gen, Brände zu löschen und Trümmer zu räumen. Das
sche Soldaten und Militärpolizei stellten zunächst die Ver-
Zuchthaus selbst blieb bis Kriegsende unbeschädigt und
sorgung der Gefangenen mit Lebensmitteln und Medika-
nahm nunmehr – da die Stadt Halle zentral im Reichsgebiet
menten sicher. Die Gefangenen scheinen in den folgenden
lag und über einen großen Eisenbahnknotenpunkt verfügte
Wochen einzeln überprüft worden zu sein; eine Massenent-
– viele Gefangene auf, die aus Zuchthäusern und Gefängnis-
lassung fand jedenfalls nicht statt. Vernommen wurden vor
sen inDeutschland und den besetzenGebieten beimHeran-
allem die Beamten und Aufseher der Haftanstalt, denn im
nahen der Alliierten „evakuiert“ worden waren. Die Toten-
ehemaligen Lazarettgebäude der Haftanstalt stießen die Be-
scheine von Gefangenen, die infolge der bei diesen Trans-
freier auf eine Richtstätte, in der ein Fallbeil und eine Hän-
porten
erlittenen
Strapazen
kurz
nach
Eintreffen
im
gevorrichtung vomwohl schlimmsten Kapitel der Tätigkeit
Zuchthaus Halle verstarben, geben Auskunft über den ka-
deutscher Justiz in Halle kündeten. Von Ende 1942 bis we-
tastrophalen körperlichen Zustand dieser Menschen. Am
nige Tage vor Kriegsende hatten die Scharfrichter hier mehr
17. April 1945 besetzten Angehörige der 104. U.S.-Infante-
als 500 Menschen aus 15 Ländern Europas und Nordafrika
rie-Division unter demKommando vonMajor General Ter-
getötet, darunter 43 Frauen und zahlreiche Jugendliche. Für
ry de la Mesa Allen das Zuchthaus Halle. Die Einnahme er-
fast genau die Hälfte der vollstreckten Urteile zeichnen Ge-
folgte kampflos, der Norden der Stadt, in dem auch das
richte der deutschen Wehrmacht verantwortlich, allen vo-
Zuchthaus steht, war von der Wehrmacht bereits geräumt
ran das Reichskriegsgericht (RKG). Dieser oberste Ge-
worden. Die genaue Zahl der befreiten Gefangenen ist bis-
richtshof der Wehrmacht, zuständig u.a. für Hoch- und
her nicht bekannt. Wenige Tage vor der Besetzung, am 11.
Landesverratssachen
von
Wehrmachtsangehörigen,
be-
April, hatte die Direktion noch etwa 500 Gefangene mit der
stimmten Verweigerungsdelikten, in Koordination mit dem
Reichsbahn in Richtung Bayern „evakuieren“ lassen, Strau-
Volksgerichtshof (VGH) aber auch tätig gegen Wider-
bing und Bayreuth tauchen als Zielanstalten in den Unter-
standskämpfer aus allen besetzten Gebieten Europas, hatte
lagen auf. Dort allerdings sollte der Transport nie ankom-
seinen Sitz im Sommer 1943 von Berlin nach Torgau – und
men; er strandete Anfang Mai 1945 auf damaligem sudeten-
damit in den Oberlandesgerichtsbezirk Naumburg – ver-
deutschen Gebiet. Nur etwa die Hälfte der Gefangenen soll
legt. Innerhalb dieses Bezirks wurden zum Tode Verurteilte
zu diesem Zeitpunkt noch gelebt haben.
jeweils nach Halle gebracht, um dort enthauptet oder er-
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