Einsichten und Perspektiven 1|15 - page 13

Otto von Bismarck – Erblast und Erbe
Der Regisseur Wolfgang Liebeneiner drehte im Auftrag des NS-Propagandaministers Goebbels einen Film über Bismarck. Die hier ab-
gebildete Szene (mit den Schauspielern Walther Franck [li.] und Paul Hartmann) nimmt die Komposition eines Gemäldes des deutschen
Künstlers Wilhelm Camphausen auf, das Bismarck als souveränen Sieger mit dem „gebrochenen“ französischen Monarchen Napoleon
III. nach der Schlacht von Sedan darstellte.
Quelle: Süddeutsche Zeitung Photo/Fotograf: Scherl
der Balkanhändel ziehen zu lassen. Er hatte allen Sirenen-
wurde. Oder man denke an Hindenburgs widerwilligen
klängen aus Wien widerstanden und nicht ausgeschlossen,
Entschluss, sich dem Votum seiner insistierenden und intri-
das sklerotische, aus der Zeit gefallene Habsburgerreich im
gierenden Umgebung zu beugen und Hitler schließlich
Augenblick höchster Gefahr seinem Schicksal zu überlas-
doch zum Kanzler zu berufen. Es war keineswegs ausge-
sen. Seine Epigonen hatten sich dagegen an die Leine Wiens
macht, dass der Sieg der Königsherrschaft über die Parla-
legen lassen. Sie hatten dafür gesorgt, dass von der ur-
mentsherrschaft
zwangsläufig
in
den
Abgrund
führen
sprünglichen Bündnisintention des Kanzlers, man sei „nur
musste. Dazu waren die Dinge zu komplex und zu viel-
beritten […] ebenso groß wie der russische Riese“, und
schichtig. Die Situation war offen und nicht verstellt.
Österreich sei „als unser Pferd gedacht“, das man „reiten“
Hinzu kommt ein zweiter Punkt. Bismarcks Wirkungs-
müsse,
7
nichts mehr übriggeblieben war.
mächtigkeit und die Kontinuität seines Handelns werden
Man denke an das Ergebnis dieser Politik: den
relativiert durch zwei säkulare Entwicklungsstränge, die
Blankoscheck vom 5./6. Juli 1914, der auch in den „Welt-
ganz Europa erfassten: durch den Trend zum politischen
brandtelegrammen“ Bethmann-Hollwegs nach Wien vom
Massenmarkt und durch das grassierende Fieber des Natio-
30.
Juli, im Angesicht des großen Krieges, nicht widerrufen
nalismus. Gegen beide Strömungen war die alte Kabinetts-
7
Niederschrift Schweinitz', 7.11.1896, in: Briefwechsel des Botschafters General von Schweinitz, hg. von Wilhelm von Schweinitz, Bd. 2,
Berlin 1928, S. 83/84.
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