Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 3/13) - page 31

Krisen und Krisenängste. Die Erfahrung der „Großen Depression“ und die Krise der Weltwirtschaft seit 2007
Einsichten und Perspektiven 3 | 13
167
11 Thierry Phillippon: Le sauvetage de la Zone Euro: L’Europe à l’heure allemande, in: Le Nouvel Observateur, 3. November 2011, S. 76 ff.
12 Albrecht Ritschl: War 2008 das neue 1931?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 20/2009, S. 27–32, hier: S. 32.
Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung,
2013
anleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) warnt
oder wenn nicht zuletzt in Frankreich vor einem Europa
„à
l’heure allemande“
11
infolge deutscher Stabilitätskultur ge-
warnt wird.
Die hierin zum Ausdruck kommenden unter-
schiedlichen Bewertungen der Politik in der Krise resultie-
ren dabei aus länderspezifischen Krisenerfahrungen. So
stellt die „Große Depression“ gerade für die Bürger der Ver-
einigten Staaten von Amerika ein Trauma dar, das in der ge-
genwärtigen Krise entsprechende Ängste auslöst; die Be-
fürchtungen und Ängste der Deutschen beruhen wiederum
auf sich hiervon unterscheidenden Krisenerfahrungen in
der Vergangenheit, wie z. B. der Erfahrung der Hyperinfla-
tion 1922/23. Die sich in Diskussionen über die einzuschla-
gende Politik widerspiegelnden Erfahrungen weisen in je-
dem Fall darauf hin, dass dieses Mal
nicht
alles anders zu
sein scheint. Der Diskurs über die richtige Krisenpolitik
zeigt nämlich deutlich, so die hier vertretene These, dass die
politisch Verantwortlichen eine Wiederholung der Großen
Depression befürchten und dieser durch entsprechende
Maßnahmen gegenzusteuern suchen, ein deutliches Indiz
dafür, dass sie sehr wohl eine Gleichartigkeit der aktuellen
Krise mit der der 1930er-Jahre unterstellen.
Zur Untermauerung dieser These sollen im Folgenden in
erster Linie strukturelle Problemlagen der Großen Depres-
sion und der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise offenge-
legt werden. Wenn sich dabei in den beiden Krisen ver-
schiedene Erscheinungen in chronologisch unterschiedli-
cher Reihenfolge überlagern, wird die differierende Abfolge
dieser Krisenerscheinungen hier ebenso wenig interessieren
wie sich unterscheidende wirtschaftspolitische Instrumen-
te; es soll im Folgenden ausschließlich um deren Wirkung
gehen. Zur Verdeutlichung dieser Vorgehensweise sei auf
Albrecht Ritschl verwiesen, der solch eine „überraschende
Parallele“ bei der frühen Bekämpfung der Kreditklemme
identifiziert: Während der Großen Depression zwangen die
Regeln des Goldstandards mehr oder weniger zur Kredit-
beschränkung, als das Finanzsystem – wie heute klar dia-
gnostiziert wird – dringend mit Krediten der Notenbanken
hätte versorgt werden müssen. Aber auch bis zum Jahres-
beginn 2009 haben die Notenbanken der USA und Groß-
britanniens vermieden, „die Bonitätsanforderungen für die
Hereinnahme von Wertpapieren als Deckungsunterlage für
kurzfristigen Zentralbankkredit herabzusetzen. Aus Sorge
vor hochriskanten Papieren (
toxic assets
) bestand man auf
hohen Qualitätsanforderungen“
12
– und provozierte damit
zunächst ebenfalls eine Kreditklemme.
Nicht erwartet werden darf im Folgenden also ge-
rade für die Jahre um 1929 eine an Fakten orientierte Dar-
stellung von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaft-
Hyperinflation
Unter Hyperinflation versteht man eine Inflation mit extrem
hohemVerfall des Geldwertes, einhergehend mit extremen
Preissteigerungen und einer massiv beschleunigten Inflati-
onsgeschwindigkeit. 1922–1923 erlebte Deutschland in der
Weimarer Republik einen solchen Geldwertverfall. Kostete im
Dezember 1922 ein US-Dollar noch 8.000 Reichsmark, verfiel
dieser Wert im April 1923 auf 20.000 Mark, Anfang August auf
eine Million Mark und im November auf über 4,2 Billionen
Mark. Für das wertlose Geld konnten kaum nochWaren er-
worben werden. Hauptursachen der Inflation lagen u. a. in
der über die Erhöhung der Geldmenge vorgenommenen
Kriegsfinanzierung, der defizitären Haushaltslage sowie den
in Devisen zu leistenden Reparationspflichten. 1924 konnte
die Lage zunächst durch die Übergangswährung der Renten-
mark, dann am 30. August durch die Einführung der Reichs-
mark stabilisiert werden, die auf der Deckung durch Gold
bzw. in Gold eintauschbaren Devisen beruhte
.
Arbeitslose in der Bundesrepublik Deutschland
in absoluten Zahlen in Prozent aller zivilen
Erwerbspersonen 2001–2012
1...,21,22,23,24,25,26,27,28,29,30 32,33,34,35,36,37,38,39,40,41,...72
Powered by FlippingBook